Zusammenrückende Atome
Ungewöhnlicher Effekt bei der Anregung von Molekülen mit Röntgenstrahlung beobachtet
Nr. 145 • 28. September 2023
Der menschliche Körper reagiert empfindlich auf Strahlung, zum Beispiel beim Röntgen oder im Kontakt mit UV-Licht. Im schlimmsten Fall wird dadurch das Erbgut verändert – Krebs kann die Folge sein. Doch was genau passiert, wenn Strahlung auf Moleküle trifft, das ist längst noch nicht umfassend erforscht. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universitäten Gießen, Hamburg, Frankfurt und Berlin sind diesem Rätsel nun einen Schritt nähergekommen: Sie präparierten ein negativ geladenes Molekül aus zwei Kohlenstoffatomen, indem sie ihm ein zusätzliches Elektron hinzufügten. Mithilfe von Röntgenstrahlung mit abgestimmter Wellenlänge konnten sie dieses Elektron bewegen – und erstmals Übergänge zwischen verschiedenen Schwingungszuständen bei negativ geladenen Molekülen beobachten. Die Ergebnisse dieses Experiments sind in der Fachzeitschrift „ChemPhysChem“ veröffentlicht worden.
Unter Leitung von Prof. Dr. Stefan Schippers fertigten Forschende der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) zunächst eine Ionenquelle an, mit der sie negativ geladene Moleküle (Anionen) erzeugen konnten, die beispielsweise in der oberen Atmosphäre oder in interstellaren Gaswolken vorkommen. Die im Experiment verwendeten Anionen aus zwei Kohlenstoffatomen wurden auf eine Geschwindigkeit von ca. einer Million Kilometer pro Stunde beschleunigt und dann mit dem Röntgenstrahl überlagert. In Folge einer Innerschalenanregung durch die Bestrahlung verringerte sich der Abstand der beiden positiv geladenen Kohlenstoffatome um fast 20 Prozent. „Statt sich wie erwartet voneinander abzustoßen, rückten beide Atome enger zusammen“, erläutert Prof. Schippers. „Dies könnte auch ein Mechanismus sein, der beispielsweise zu Strahlenschäden im Erbgut von Zellen führt.“
Die Forschenden wollen nun prüfen, ob ein derart drastischer Effekt auch bei der Bestrahlung anderer molekularer Anionen zu beobachten ist. Dazu werden sie weitere Messungen am sogenannten „Photo-Ion-Spektrometer“ (PIPE) im Großforschungszentrum DESY in Hamburg durchführen. „Herkömmliche Röntgenstrahlung reicht für ein derartiges Experiment bei Weitem nicht aus“, erklärt Prof. Schippers. „Mithilfe der PIPE-Apparatur können wir den weltweit einzigartig hohen Photonenfluss nutzen, der in der Synchrotron-Strahlungsquelle PETRA III im DESY vorhanden ist.“
- Weitere Informationen
Vibrationally Resolved Inner-Shell Photoexcitation of the Molecular Anion C2-; S. Schippers, P.-M. Hillenbrand, A. Perry-Sassmannshausen, T. Buhr, S. Fuchs, S. Reinwardt, F. Trinter, A. Müller, and M. Martins; ChemPhysChem 24, e202300061 (2023), DOI: 10.1002/cphc.202300061; Cover Feature, DOI: 10.1002/cphc.202300325
https://chemistry-europe.onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/cphc.202300325 - Kontakt
Prof. Dr. Stefan Schippers, I. Physikalisches Institut
Telefon: 0641 99-15203
E-Mail: Stefan.Schippers
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