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Jahn/Eiselen: Über die Turnsprache (1816)

Friedrich Ludwig Jahn/ Ernst Eiselen:
Die Deutsche Turnkunst zur Einrichtung der Turnplätze. Berlin 1816.
Seite XIX bis XLV: Über die Turnsprache.

Zur Einrichtung:
Sperrungen des Originals werden kursiv wiedergegeben; Antiqua-Auszeichnung wird durch Unterstreichung wiedergegeben. Seitenzahlen in doppelten Spitzklammern.
Bearbeitung: Thomas Gloning, Juni 2000
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<<XIX>>

(...)

Über die Turnsprache nur etwas Höchstwesentliches, da es hier an Raum fehlt, um für sie nach allen Gründen und Gegengründen gegen jedermann in einem offenen Kampfe zu rechten und fechten. Es ist ein unbestrittenes Recht, eine Deutsche Sache in Deutscher Sprache, ein Deutsches Werk mit Deutschem Wort zu benennen. Warum auch bei fremden Sprachen betteln gehn, und im Ausland auf Leih und Borg nehmen, was man im Vaterlande reichlich und besser hat. Kein gründlicher Sprachkenner, kein echtdeutscher Volksmann hat auch je der Wortmengerei die Stange gehalten. Nur Sprachschwache und Afterdeutsche <<XX>> werfen so gern den Zweifel auf: Ob man im Deutschen sich auch Deutsch ausdrücken könne? Jhre Sprachschwäche, Unwissenheit und Verkehrtheit dichten sie der edeln Deutschen Heldensprache an, verlassen diese feldflüchtig, ergeben sich der Wälschsucht und meindeutschen.

Kunstner und Wissenschafter sind in der Regel für reindeutsche Kunstwörter in allen andern Künsten und Wissenschaften. Von den ihrigen kommt es ihnen immer zu schwer vor, und darum lassen sie es auch ohne Versuche bewenden. Auch ist selten unter ihnen solch geselliger Verkehr und gesellschaftlicher Verein, als die Sprachbildung erfordert. Soll eine Kunstsprache lebendig sein, so muß sie aus dem Leben hervorgehn. Ein Einzelner kann wohl die Sprache zu seinem Theil rein halten, nur nicht allein rein fegen.

Übrigens entspringt alle Wortmengerei aus Unkunde, Sprachfaulheit und Vornehmthuerei. Leider können alle Klage und Reden dagegen nichts helfen, so lange die Deutschen Kinder in ihrer Kindheit geflissentlich um ihre Muttersprache <<XXI>> betrogen werden; so lange man den Kindern die Sprachmutter raubt, und ihnen eine fremde Sprachamme gewaltsam aufdringt. Die Geschmacklosigkeit und die Unklarheit neuer Schriftsteller entstehen aus meindeutscher Volksvergessenheit. Kolbe, ein wackerer Kämpfer, hat die urkundlichen Beweise geliefert, in seinen Schriften: Über Wortmengerei. 2te vermehrte Auflage. Leipzig bei Reklam 1812. (2 Thaler 12 gr.) -- Abgerissene Bemerkungen über Sprache. Ein Nachtrag zu der Schrift: Über Wortmengerei, Leipzig bei Fleischer 1813 (20 gr.) -- Noch ein Wort über Spracheinheit. Berlin. Realschulbuchhandlung. 1815 (12 gr.). Die Vielspracherei ist der Sündenpfuhl, woraus aller Büchernebel dunstet. Was Einer Sprache recht bleibt, ist der andern -- und der eigenen zumal, auch wohl billig. Was eine lebendige Sprache um Leib und Leben bringt, sollte man ihr doch nicht zu Leide thun. Nimmermehr wird die Deutsche Sprache eine Mangsprache werden. Noch immer behauptet sie im siegreichen Kriege ihr Urrecht als Ursprache. Jhr ist Wortmengerei -- Armuth, Reinheit -- <<XXII>> Reichthum, und Reinigung -- Bereicherung. Die Fremdsucht ist ihr Galle, Gift und Greuel, ein Jrrleuchten im Dämmer und Nebel. Fremdwörter gehen als solche und wenn sie hunderttausend Mal eingebürgert heißen, nie in Gut und Blut über. Ein Fremdwort bleibt immer ein Blendling ohne Zeugungskraft; es müßte dann sein Wesen wandeln und selber als Urlaut und Urwort gelten können. Ohne ein Urwort zu werden lauft es als Ächter durch die Sprache. Wälschen ist Fälschen, Entmannen der Urkraft, Vergiften des Sprachquell, Hemmen der Weiterbildsamkeit, und gänzliche Sprachsinnlosigkeit.

Die Deutsche Sprache vereint reine Ursprünglichkeit mit Weiterbildsamkeit, und hohes Alter mit jugendlicher Frische. Sie ist ein Werk aus einem Guß und Fluß. Jhr großer Reichthum an Urwörtern giebt ihr ein entscheidendes Übergewicht. Die Fülle, Schärfe und Feinheit der Worthülfen, so als Vorlinge, Jnlinge und Endlinge gebraucht werden, und wie stehende Schriften der Wortbildung anzusehen sind, geben den Schlüssel zu <<XXIII>> dem unendlichen Sprachschatz. Dadurch wird im Deutschen das Mögliche auch wirklich. Darum bleibt jede Wortzählung eine verunglückte Mühe und jeder Wortstempel von veraltet und neugebildet ein ungewiß Ding. Unter sprachthümlichen Wörtern ist kein Wortrang von Erstlingen und Spätlingen. Wörter sind nicht Wein und Lagerbier, so mit der Zeit an Geistigkeit zunehmen. Jn der Bildsamkeit lebt die Verjüngung der Sprache. Sie ist der Born ihrer Unsterblichkeit. Die Wortquellen kann man im Deutschen nur ergründen, nicht erschöpfen. Nicht fertig werden die Wörter gegeben, wohl aber hat die Sprache die Zuthat und die Bildekraft in ihren Bildegesetzen. Da finden sich Musterwörter und Musterweisen. Darum bedürfen Wörter keiner Buchahnen, allein durch Sprachthümlichkeit sind sie sprachbürtig.

Jn der Theilbarkeit, Zersetzung, Versetzung und Zusammensetzung besitzet die Deutsche Sprache eine Vielgestalt, die sich wendet, schwenket und kehrt, und nach allen möglichen Richtungen fortschreitet. Als Ursprache hat sie eine Klarheit <<XXIV>> zur Mitgift, die jeder Aftersprache mangelt. Sie ist anschaulich gebildet, und lebt im Anschaun. Sie senkt sich in die Tiefen des Gemüths, wenn sie mit Geistesfittigen auffschwingt. Sie hat kindliche Einfalt treu bewahrt, ist bündig in der Darstellung, erbaulich in der Rede, erwecklich im Liede, und kernig und körnig im Spruch.

Die Deutsche Sprache wird in Wissenschaft und Kunst niemals Kenner und Könner in Stich lassen. Nimmer werden die Stufenwörter fehlen, jede Folge und Folgerung wird auszudrücken sein. Die Sprache wird treu gepflegt mit dem Entwickelungsgange Schritt halten, für jede neue Gestaltung unsers Volks passen, für jede Lebensfülle zureichend sein, und mit dem Wachsthum des Volks an Bildsamkeit zunehmen. Aber vom Wißdünkel der Allerweltsbürgerei müssen wir abstehen. Mit dem Allerweltsleben hat keine einzelne Sprache zu schaffen, nur das eigene Volksleben ist ihre Seele.

Wer Ungemeines beginnen will, und zur That sich anschickt -- braucht in seinem Gewissensrathe nie zu fragen: Hat schon irgend <<XXV>> jemand Ähnliches gewollt, Gleiches angefangen oder Dasselbe vollführt? Aber wohl muß er das Recht wägen: Darf man so handeln und thun? Nicht anders mit dem Wortbildner. Nimmt der nur gehörig Rücksicht auf die Urgesetze der Sprache und ihr ganzes Sprachthum; so bleibt er frei von Tadel und Schuld. Kein Splitterrichter hat Fug zu fragen: Hat schon jemand so gesagt? Man muß prüfen: Darf man so sagen? Jst es nicht besser auszudrücken? Denn jede lebendige Sprache bewegt sich in allgewaltiger Rege; aber Sprachlehren und Wörterbücher kommen dann auf dem gangbaren Pfade richternd hinterher.

Der Kunstsprachenbildner soll ein Dollmetscher des ewigen Sprachgeistes sein, der in dem ganzen Sprachthum waltet. Darum muß er in die Urzeit der Sprache zurückdenken, und ihren Bildungsgang auf rechter Bahn verfolgen. Kann er an der Quelle verschollene Urlaute erlauschen; so muß er diese zuerst vor allen Leuten lautbar machen. Jm Erwecken scheintodter Urwörter liegt eine wahre Mehrung der Sprachstärkung. Kein Wort ist für ausgestorben zu achten, so <<XXVI>> lange die Sprache nicht todt ist; kein Wort für veraltet, so lange die Sprache noch in Jugendkraft lebt. Begrabene Wurzeln, die noch grün sind, und im vollen Wachsthum neue Stämme, Äste und Zweige treiben können, bringen Segen und Gedeihen. Die Schossen und Sprossen alter Herzwurzeln verkünden einen neuen Frühling nach langer Winterstarre. Da befreit sich die Sprache von Flick- und Stückwerk, und geht wieder richt und strack. Ohne das Pflegen der Wurzelkeime wird die Sprache als Saumroß und Packthier beladen, und muß endlich unter der Last schwerfugiger Zusammensetzung erliegen. Jedes wieder in Gebrauch kommende Urwort ist eine reichhaltige Quelle, die den Fahrstrom speiset, den Thalweg austiefet, und allen Oberwohnern Vorfluth schafft. Turn mag als Beispiel dienen. Davon sind jetzt schon gebildet und bereits redebräuchlich: Turnen, mitturnen, vorturnen, einturnen, wettturnen; Turner, Mitturner, Vorturner, turnerisch; -- turnlustig, turnfertig, turnmüde, turnfaul, turnreif, turnstark; -- Turnkunst, Turnkünstler, <<XXVII>> Turnkünstlerisch; -- Turnkunde, Turnlehre, Turngeschichte; -- Turnanstalt, Turngesellschaft, Turngemeinde, Turngemeinschaft; -- Turnplatz, Turnfeld, Turnplan, Turnhof, Turnstelle, Turnbahn; -- Turnhaus, Turnsaal, Turnboden; -- Turnzeit, Turnstunde, Turntag, Turnsommer, Turnjahr, Turnschule, Turnkühre, Turnrast; -- Turnlehrer, Turnmeister, Turnwart, Turnwartschaft, Turnwalt; -- Turnordnung, Turngesetz, Turnregel, Turnbrauch, Turnsitte, Turnziehm, Turnschick, Turnweise, Turnart; -- Turnzeug, Turngeräth; -- Turntracht u.s.w. -- Turnübung, Turnspiel, Turnfahrt, Turnfest -- Turnsprache, Turnwort, Turnspruch, Turnreim, Turnlied, Turnbuch. -- u.s.w.

Turn in turnen, Turner u.s.w. ist ein Deutscher Urlaut, der auch in mehren Deutschen Schwestersprachen vernommen wird, in ausgestorbenen und noch lebenden, und überall drehen, kehren, wenden, lenken, schwenken, großes <<XXVIII>> Regen und Bewegen bedeutet. So durchklingt er Langbardisch, Altfränkisch, Angelsächsisch, Englisch, Schwedisch und Jslandisch. Schon vor 1023 ist es in Deutschland ein Schriftwort. Da braucht es Notker bei Psalm 39 zur Erläuterung von einem Fuhrmann: "unde uuieo samfto er fier ros sament turnet, unde uuieo gehorig siu imo sind alles cheres, so uuieo in lustet." Jn einer alten Thiermäre von Büsching bekannt gemacht (Wöchentliche Nachrichten für Freunde der Geschichte, Kunst und Gelahrtheit des Mittelalters. Breslau 1816. 4tes Stück, Seite 57 und 59) heißt der Thiere König der Löwe: ein kühner Turner. Noch bis auf den heutigen Tag giebt es Deutsche Geschlechter, die Turner heißen.

Es ist dem armen Worte lange sehr übel ergangen. Deutsche Sprachzweifler hatten es längst für todt erklärt, und ihm Theil und Erbe am Deutschen Sprachschatz abgesprochen. Arge Wortschnüffler und Schleichwarenriecher witterten hier gleich verbotenen Smuggel, und verdammten das echtdeutsche und turnierfähige turnen geradezu als Französisches Erzeugniß, ohne <<XXIX>> sich an seinen Sprachstempel und Urschein zu kehren. Und doch bekennt selbst der Französische Sprachforscher Du Fresne, wie das Französische tourner durch die Deutschen oder Franken nach Frankreich gekommen. Ein Deutscher Mann wird aber dadurch noch kein Franzose, wenn ihn das Unglück traf, in Gefangenschaft zu gerathen. Nach seiner Entledigung kann er gleich wieder in Reih' und Glied eintreten. Weder ein Deutsches Wort, noch ein Deutsches Land wird dadurch schon Französisch, wenn es die Franzosen sich zueignen. Entlehnte Kunstwörter und entführte Kunstwerke kann man zu allen Zeiten rechtmäßig zurückfordern.

Wenn aber auch Du Fresne das Wort aufgiebt, so will er doch das Werk als Französisch retten, und seine Landesleute dem Sinn und der Sage und aller Geschichte zuwider zu Erfindern der Turniere machen. Sein Beweis ist nicht halb, nicht ganz, nur eine einzelne Stelle in einem einzelnen Französischen Zeitbuch. Dort heißt es (in Chronico Turonensi) beiläufig und gelegentlich beim Jahre 1066, wie der Tod des Gaufried Herrn von Preulli erwähnt <<XXX>> wird: "Torneamenta invenit." Schwerlich soll das heißen: Er hat die Turniere erfunden -- Denn das konnte kaum ein König und Fürst, geschweige ein Sondermann. Der Sinn jener Stelle ist sicherlich nur: Er hat sie in Frankreich in Gang gebracht. Das bestätiget eine Urkunde aus dem Schriftthum der Sonst-Reichsstadt Rothenburg an der Tauber. Die meldet bereits beim Jahr 942: "Vom andern Thurnier zu Rothenburg." Dies wäre eigentlich genug. Weil aber leider jeder Französische Lügenwind, sobald er nach Deutschland herüberwehet, als Sturm wüthet und die Wahrheit entwurzelt; so will ich die Thatsache noch weiter und breiter belegen. Martin Schmeizel's [weiland Professors der Geschichte zu Halle] historischer Erweis, daß die solennen Turniere schon im zehnten Seculo in Teutschland gebräuchlich gewesen ist aus den Hallischen Anzeigen, 43 u. 45ten Stück vom Jahr 1733 wieder aufgenommen in Schott's Juristisches Wochenblatt 50. 51 Stück. Leipzig 1772.

Das ganze Mittelalter hindurch ist auch <<XXXI>> niemals einem Deutschen eingefallen, an der Urthümlichkeit und Deutschheit der Turniere zu zweifeln. Wer den biedern und mannlichen Rittern hätte wollen Franzosenthum und Wälschsucht aufheften -- der wäre gewiß schön angekommen. Und der glühende Eiferer für Deutschheit Mannhold von Sittewalt (nach seinem Schriftnamen) eröffnet in seinen Gesichten: "Turner war bei den Alten ein junger Soldat, ein tummelhafter wacker Kerl, ein frischer junger Gesell, der sich in ritterlichen Thaten übete, daher Turniren und ein Turnier seinen Namen und Anfang genommen." (Leidener Ausgabe von 1646. 2ten Theil. Seite 319. Straßburger Ausgabe von letzter Hand. 1650. 1665. 2ten Theil. Seite 423).

Die Turnkunst selbst war lange eine verschollene Alterthümlichkeit. Einer schwatzte und schrieb zwar dem andern nach, wie herrlich die Vorzeit und wie trefflich die Altvordern gewesen. Jn Wörterbüchern waren die Namen einiger Übungen eingepfercht. Man kannte noch Übungen von Hörensagen ohne ihre Namen, <<XXXII>> und vernahm wieder Namen ohne die benamten Übungen zu kennen. Fischart's Gargantua

von 1590 enthält einen Reichthum von Spiel- und Übungsnamen, aber wer kennt die unbeschriebenen bloß hergezählten Dinge, wenn sie nicht vielleicht auch gausässig benannt sind. Nur zwei Kunstwörter habe ich aus diesem Wortspeicher entnehmen können: Heuschreckensprung und Arm durchschleifen; -- denn Barlaufen und zum Ziel schocken hatte ich auch ohne ihn noch aus der Volkssprache. Hans Thurnmeier von Abensberg (nach seinem Schriftnamen Aventinus) der 1534 im 68 Jahr seines Alters verschied, gedenkt des Barlaufen also: "mit dem Lermen umbschlahen und [nnd_Dr.] Sturm haben sie [die alten Deutschen] den Barrit geheißen, davon man noch der Barlaufen ein Spiel heißt und nennt." So haben wir wissentlich kein altes Deutsches Kunstwort verkommen lassen, wohl aber verschollene wieder in die Sprache des Lebens zurückgebracht. Die alte Kunst ist auch ehrwürdig in ihren Sprachtrümmern. So fand sich Rung von Ringen (in Thomæ <<XXXIII>> Garzonii Piazza universale, oder allgemeiner Schauplatz aller Künst verdeutscht Frankfurth am Main 1619 und 1659.) und ward freudig aufgenommen. Wo nur irgend ein Halt war, wurde er gleich als Hort ergriffen. Sonnen- und Sternenbahnen, Kugelbahnen u.s.w. waren schriftsässig. Davon entlehnten wir Bahn zur Bezeichnung des zu jeder Übung erforderlichen Raumes vom Stand bis zum Ziel, oder vom Anfang bis zum Ende. Wo ein Bildegesetz ansprach, wurde ihm unbedenklich auf sprachähnlichem Wege gefolgt. Anfußen auß der Jagdsprache eröffneten [!] den Reigen für anfersen, anhanden, anmunden, anschultern, u.a. Bei dem ersten, wie bei den andern bezeichnet das Wort nur das Glied, was einen Gegenstand berührt, und niemals diesen. Jmmer ist nur die Rede vom Was, Womit und Wodurch -- niemals vom Wo, Wohin und Woran.

So ist der Bildungsanfang immer erst Rückkehr zur Urbedeutung gewesen, wenn selbst auch jetzo die Nebenbedeutung bereits schon als deren Stellvertreter gäng und gebe war, z.B. <<XXXIV>> Reede (Siehe Seite 237), handeln (45), schweben und rennen. Nie wollte man der Sprache Gewalt anthun, wohl aber die Urrechte der Sprache aufrecht erhalten, und Selbständigkeit und wahre Sprachfreiheit von wälschsüchtigen Meindeutschen zurückerkämpfen. Sprache ist Gemeingut der Sprachgenossen, das Sprachthum ist die Handveste; die Bildegesetze sind Gerechtsame, die jeder Einzelne wahren, schützen und schirmen muß. Die Sprachgemeinde lebt auf uraltem Ganerbe, und darf ihr Traugut nicht verschulden, nicht verbösern, nicht verbilden, nicht aufgeben und verschleudern. Sie muß, was sie zu treuen Händen empfangen, als eisern überliefern, und urkräftig und nachhaltig hinterlassen.

Unbedenklich entlehnten wir alte Wörter aus den reingehaltenen Kunstsprachen. Rah, Nock und Rust sind seemännisch, Bühne ist bergmännisch, Holm ist zimmermännisch. Auch Ackerbau, Handwerk und Gewerbe sind verglichen. Selbst sogar die Kriegssprache ist benutzt, so sehr sie auch noch an den Franzosenmählern der alten Niederlagen leidet. (Zu vergleichen <<XXXV>> [Dr. Karl Müller's] Allgemeines Verteutschwörterbuch der Kriegsprache. Leipzig bei Bruder und Hofmann 1814 -- 1 Thaler --). Niemals, auch nicht im Traum, ist mir eingefallen bloß übersetzen zu wollen, und weiter nichts. Mit den Kunstwörtern muß man es wie mit den Sprichwörtern machen, die buchstäblich fast immer Unsinn geben. Sinn durch Sinn, Eigenheit durch Eigenheit, ein Urthum durch das andere --: Das geht von Sprache zu Sprache.

Einzelne aufgefundene Wörter wurden die Richtwörter der ganzen Reihenfolge. Steig- und Werf-zeug hat die älteste Verdeutschung des Vitruvius. Basel 1614. Hebezeug ist im Bergwesen. Jhnen nachgebildet sind: Springzeug, Schwingzeug, Schwebezeug, Kletterzeug, Ziehzeug.

Nach den Sprachähnlichkeiten und den Bildegesetzen haben wir die Lücken der Kunstsprache sprachthümlich auszufüllen gesucht, das Fehlende ergänzt und dem Mangel abgeholfen. Sache und Sprache haben wir immer beisammen getrieben, und so sollen die Kunstwörter Hand und Fuß haben und Kopf und Herz. <<XXXVI>> Ein Wort muß das andere erklären, jedes ist ein Schlüssel zur Sprachkammer, das erste beste ist der Reigenführer zur ganzen Wörterfolge, wie bei der Angabe der Sprunghöhen (Seite 28): Knöchelhoch, wadenhoch, kniehoch, schenkelhoch, hüfthoch, nabelhoch, herzhoch, brusthoch, halshoch, schulterhoch, kinnhoch, mundhoch, nasenhoch, augenhoch, stirnhoch, scheitelhoch.

Eine durchgeführte Kunstsprache muß schon in der Wortbildung ein Wortfinden gewähren; als: Sprunghöhe, Sprungweite, Sprungtiefe -- und von turnscheu und Turnscheue alle mögliche Arten. Mithin soll aber auch kein Buchrichter ein einzelnes Kunstwort herausgreifen, vor seinen Freistuhl ziehen, und darüber dünkelweise aburtheln. Man muß die Kunstwörter einer Kunstsprache allesammt in Reih und Glied mustern, und dann Schau über sie halten, ob jedes an Ort und Stelle ist, und kunstgerecht seinen Posten einnimmt. Wer nicht mit Umsicht, Übersicht und Einsicht erst die Kunst und ihren Wortbedarf erforscht -- mag leicht vorlaut Wörter verabschieden, so er <<XXXVII>> nach langem Kühren und Kiesen wieder einberufen muß. Die Deutsche Sprache hat sinnverwandtlichen Reichthum. Was aber von allen Schaftgewehr könnte den Ger ersetzen? Nur er ist beides wurfrecht und stoßrecht, wuchtbar auf fern und nah, wegen Gestalt und Gehalt nicht misdeutig. Dabei von uraltem Stamm aus einer weitverbreiteten Deutschen Wurzel, die sich durch Altgallisch, Lateinisch und Griechisch fortstreckt, und endlich fern im Morgenland unter Persen, Arabern und Türken als Dscherid zum Vorschein kommt.

Alle Wörter, die sich gegenseitig erläutern, prägen sich leicht dem Gedächtniß ein, und kommen dem Erinnerungsvermögen zu Hülfe. Solche wie: springen, Springer, Springel; -- klimmen, Klimmer, Klimmel; -- schwingen, Schwinger, Schwingel; -- fechten, Fechter, Fechtel, Hiebfechtel, Stoßfechtel, -- sind schon durch ihre Ableitung verständlich und gerechtfertiget. Jhnen können, wer weiß wie viele, noch nachgebildet werden.

Durch die altdeutsche Wortkehre hat man die Turnsprache möglichst geschmeidig zu <<XXXVIII>> erhalten gestrebt: Dauerlauf -- Laufdauer, Klettermast -- Mastklettern, Springstab -- Stabspringen, u.s.w.

Der Wiederlaut wurde niemals verschmäht, wo er sich ungezwungen darbot: Hinkfuß -- Hangfuß, Springgraben -- Springgrube, lochen -- legen, stützen -- stürtzen u.a.m. Der Wiederlaut ist ja auch in unserer Ursprache geboren, und kann nur mit ihr verenden.

Eben so wenig hat man sich vor dem Schlagreim geekelt und geziert. Jst er doch unter allen Sprechern der Altermann, ein mundrechter Worthalter für alle Leute, und ein leutseliger Redner sonder Gleichen. Schick und Blick, -- Lauf ohne Schnauf, -- Wage und Lage, -- Ruck und Druck, -- klippen und klappen, -- kippen und wippen u.a.m. sprechen durchs Ohr deutlicher zum Gemüth, als breite Rednisse zum Verstand. Kunstwörter müssen möglichst genau, bestimmt, treffend und merkbar sein; Kunstausdrücke ernst, gesetzt, männlich und edel; Kunstlehren, Regeln und Gesetze einfach, klar, bündig, herzlich, <<XXXIX>> Deutsch heraus, nicht hinter dem Berg haltend, wahrheitsvoll, volkfaßlich, gleich fern von Schmutz und Putz; Kunstsprüche schlecht und recht, kurz, kernig und körnig.

Manche Turnwörter müssen nothwendig rufbar und schaltbar werden, und darum einfach und volltonig wie Empfindungslaute. Mit bloßen Schrift- und Lesewörtern kann die Turnsprache nicht auskommen; sie braucht Sprech- und Lebewörter und die müssen anstellig und ausrichtig, ja ringfertig lauten. Nur darum ist bisweilen die Sassische Urweise dem Sächsischen Herkommen vorgezogen z.B.: Stopp! stoppen, wo Opitz stopfen gebraucht, was aber in dieser Bedeutung ungewöhnlich undeutlich und kleinlaut. Auch sind stopp! und stoppen seemännische und werkmännische Rufe. Keine Kunstsprache darf vornehm und neuzeitig aufgefleihet dick thun, oder wohl gar nach Art der Schmutzfinken und Sprachschinder sich über die Muttersprache was herausnehmen. Bei allen andern echtdeutschen Kunstsprachen muß sie ihren Anklang finden. Sie soll ihre Wortgebilde alle nach altem Schrot <<XL>> und Korn prägen, keine Schwimmer in Umlauf bringen, so die nächste Flage und Fleihge schon absetzt.

Um nicht mit hausbackenem Verstand auf die Worthetz zu reiten, und Wortschatten und Schemen zu erjagen -- sind alle alte Bilder wieder in Rahmen gefaßt und aufgestellt, so die Sprache noch hatte, besonders beim Schwingen z.B. Bratenwender, Scheere, Jungfernsprung, Diebssprung u.d. Nach diesem Gebilder sind beim Schwingen, Barren und Recken ähnliche versucht z.B. Nest, Felge, Welle, Mühle, Speiche, Halbmond, Schlange und manche andere. So steht nun in der Turnsprache alt und jung einträchtig beisammen, lauter bekannte Gesichter, denen gewiß jeder bald heimisch wird wie zu Hause. Hier wo sich ein leibhaftes und lebhaftes Wesen darstellt, muß auch jedes Kunstwort lebendig sein, sinnig, sinnlich, sinnbildlich und anschaulich. Das Wort ist weniger wandelbar als das Werk. Jst also erst die Kunstsprache glücklich geordnet und sprachthümlich gefestet; so kann die Folgezeit <<XLI>> der Mühe entrathen, die Wörter aufs Neue wieder umzudeutschen.

Da in die Turnsprache manche wesentlich nothwendige Wörter aus Mundarten aufgenommen sind, z.B. Reck, Riege, Reede, Tie, Schleet aus dem Sassischen; -- Anmann (zu Vorder- Hinter- und Nebenmann) aus dem Schweizerischen; -- schocken zunächst aus dem Thüringischen; -- die Herrn von der Schriftfeder über das Verhältniß der Mundarten zur Gesammtsprache noch lange nicht im Klaren zu sein scheinen; so mögen folgende Andeutungen auf eine künftige Berichtigung hinzielen.

Mundarten sind keinesweges für bloße Sprachbehelfe zu halten, für Ausdrucksweisen von niederm Range, die nur annoch in einem Versteck und Schlupfwinkel des Sprachreichs aus Gnade und Barmherzigkeit Duldung genießen. Jm Gegentheil sind sie nach altem wohlhergebrachten Recht in irgend einem Gau auf Grund und Boden erb- und eingesessen. Darum können sie niemals die Rücksicht auf Heimath und Wohnstätte verläugnen. Sie <<XLII>> müssen alle und jede Örtlichkeit beachten: Berg und Thal, Wald und Feld, Wiese und Weide, Flur und Fluß, Acker und Aue, Land und See, und tausend andere. So bilden sie Einzelnheiten in Fülle aus, und die eigensten Besonderheiten auf zweckmäßige Art und Weise. Jhre Wohlhabenheit ist der wahre Sprachreichthum. Jhr beschränkter Bereich ist Samenbet, Gehäge und Schonung von kräftigem Nachwuchs. Denn in einem weit und breit durch Gauen, Marken und Lande wohnenden Volke muß es natürlich eine Menge höchstnothwendiger Begriffe geben, treffliche Bezeichnungen, gehaltene Schilderungen, und sprechende Gemählde, die doch niemals in Büchern vorzukommen Gelegenheit hatten. Aus diesen mehrt sich dann allezeit, wenn Noth am Wort ist, die Schriftsprache, die ohne sie nicht heil sondern unganz ist. Die Gesammtsprache hat hier Fundgruben und Hülfsquellen, die wahren Sparbüchsen und Nothpfennige des Sprachschatzes.

Mundarten zeugen immerfort den alten Urstamm in sprachthümlicher Reinheit von Geschlecht zu Geschlecht. Der könnte ohne ihren <<XLIII>> Schirm gar leicht an einseitiger Überfeinerung und Verzierlichung versiechen, Saft und Kraft verlieren, und marklos an der Auszehrung verquinen. Da sich die Mundarten nur sprachthümlich fortpflanzen, nicht in Büchern, sondern in aller Leute Mund leben; so hindern sie gewaltsame Verregelungen und Verriegelungen der Gesammtsprache. Sie treten in die Landwehr, wenn das Buchheer geschlagen. Offenbare Sprachwidrigkeiten lassen sich Leute, die nach ihrer Altvordern Weise trachten, nicht zu Schulden kommen, und lassen sich auch von ihres Gleichen keine Sprachunbilden gefallen. Sie können wohl Sprachfehler begehn, aber keine Sprachfrevel. Ein Schriftsteller kann weit eher der Sprache Gewalt anthun, und seine Nothzucht noch obendrein in einem Buche zu Ehren bringen, auch da seine Wälschlinge und Bankerte versorgen. Vor aller Leute Ohren und Munden geht das nicht ungestraft hin, da kann jeder Rüger sein.

Die Mundarten leben im ewigen Landfrieden mit der Gesammtsprache, und treten vor den Riß, so bald in der Schriftsprache Lücken entdeckt <<XLIV>> werden. Ohne Mundarten wird der Sprachleib ein Sprachleichnam. Die Schriftsprache ist die höchste Anwaltschaft der Spracheinheit, die Mundarten bilden die dazu höchst nöthigen Urversammlungen der vielgestalteten Einzelnheit. Ein mundartiges gausässiges Wort muß, um durch Schriftwürdigkeit zur Schriftsässigkeit zu gelangen:

1. eine Deutsche Wurzel sein, oder nachweislich von einer solchen stammen;

2. den Deutschen Wortbildegesetzen nicht widersprechen, sondern sprachthümlich gebildet sein;

3. echtdeutsch, und nicht schriftwidrig lauten;

4. mit Hochdeutschen Lauten aussprechbar sein, und mit den gewöhnlichen Buchstaben in der Schrift darzustellen;

5. einen Begriff bezeichnen, wofür es bis jetzt noch kein Schriftwort gab;

6. zu keiner falschen Nebenbedeutung verleiten;

7. Weiterbildsamkeit besitzen;

8. kein schwerzusammengefugtes Angst- Noth- und Qualwort sein;

9. ein schlechteres Schriftwort schriftwürdiger ersetzen.

<<XLV>>

Dies sind die ersten Prüfregeln der Schriftwürdigkeit gausässischer Wörter. Von schirken (Seite 125) sind Schirk, Schirke, Schirkel gleich redebräuchlich geworden, und schirkig, schirkhaft, schirklich, verschirken u.a. dabei leicht zu finden. So gewinnt man mit einem bildsamen Wort der Schriftsprache einen ganzen Wortstamm, und verpflanzt ihn in ein nachhaltiges Fruchtland. Zur Vergleichung steht Seite 126 die mir bekannte gausässige Sinnverwandtschaft. Ein Urwort, oder ein abgeleitetes ist allemal besser, als ein zusammengesetztes. Ein Wort soll aber gefugt, nicht bloß zusammengesetzt; genuthet und nicht genagelt; nicht geleimt, sondern geschweißt sein. -- --