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Ansgar Nünning, 31 (in €), Literatur- und Kulturwissenschaftler

Was darf in keinem guten Leben fehlen?

Feathery, furry & human friends, Autonomie, Bildung & Gesundheit, Humor, »the art of kindness« & Liebe, Frieden, Freiheit & Gerechtigkeit, Atmen, Tai Chi & Schwimmen, Lesen, Literatur & Musik, Folk, Rock & Reggae, gute Gespräche, Resonanz & good vibrations...

Im Film Being John Malkovich findet der Protagonist zufällig einen geheimen Eingang zum Kopf des Schauspielers John Malkovich. In wessen Kopf wären Sie gern mal für einen Tag?

Nach der Lektüre von George Eliots »The Lifted Veil« lieber außer in dem von Dalai Lama, Matthieu Ricard oder Udo Lindenberg in keinem; mir reichen die von Literatur ermöglichten Perspektivenübernahmen und Perspektivenwechsel völlig.

 Was ist für Sie ein perfekter Tag?

Ein achtsamer, im Hier-und-Jetzt verbrachter Tag mit möglichst vielen Aspekten von Frage 1 und mit »happiness boosters« wie Faultieren, Raben und wunderbaren Menschen, die strahlend den Raum mit Sonne fluten.

Wo/an welchen Orten findet man ein gutes oder besseres Leben?

An allen Orten, an denen viel von Frage 1 zusammenkommt; ansonsten am Strand und im Wald, in Heidelberg und Köln, auf Borkum, Fuerteventura und Kuba, in Bergamo, Graz, Helsinki, Lissabon, Stockholm und Vancouver…

 Was ist für Sie ein gutes Buch bzw. eine gute Lektüre?

Ästhetisch und sprachlich kunstvoll geschriebene Bücher, die meine Perspektive verändern und Weltansicht bereichern, etwa Mariana Lekys wunderbarer Roman »Was man von hier aus sehen kann« oder Sibylle Bergs Sprachfeuerwerke »GRM: Brainfuck« und »RCE: #RemoreCodeExecution«.

Was braucht es, damit Sie am Ende Ihres Lebens zurückblickend sagen können, dass es ein gutes Leben war?

Jeden Morgen bin ich für das riesengroße Geschenk, das man Leben nennt, so dankbar, demütig, froh und glücklich, dass ich jeden Tag so zu leben versuche, dass es im Hier-und-Jetzt immer ein gutes Leben ist.

Wie muss jemand leben oder gelebt haben, damit Sie ihn als Vorbild eines guten Lebens akzeptieren?

Abgesehen von einer grundsätzlichen Skepsis gegenüber Autoritäten, Idolen, Normen und Vorbildern, beeindrucken mich Menschen, die mit Altruismus, Demut, Empathie, Enthusiasmus, Großzügigkeit, »kindness« und positiven Visionen so ›ihr Ding machen‹, dass sie die Welt für andere besser machen.

Welche Rolle spielt Arbeit für ein gutes Leben?

Erfüllende und selbstbestimmte Arbeit ist (für mich) ein zentraler Teil eines guten Lebens, »work-life-balance« hingegen eine von (viel zu) vielen Bullshit-Fiktionen. Das Kunststück besteht darin, »how to find the work you love« (Laurence G. Boldt): nicht bloß einen ›Job‹, ›Beruf‹ oder eine ›Profession‹, sondern eine wirkliche Berufung (engl. ›calling‹) zu finden.

Am Ende von Rainer Maria Rilkes Sonett »Archaischer Torsos Apollos« heißt es: »Du mußt dein Leben ändern.« Welches Buch hat Sie aus welchen Gründen schon einmal auf den Gedanken gebracht, dass es eine gute Idee wäre, Ihr Leben zu ändern?

Stellvertretend für viele andere: George Eliots »Middlemarch«, Aristoteles »Die Nikomachische Ethik«, Epiktets »Handbüchlein der Moral«, Wilhelm von Humboldts Schriften zur Anthropologie, Bildung und Sprache, Gregory Batesons »Ökologie des Geistes«, Ayya Khemas »Being Nobody, Going Nowhere«, Wilhelm Schmids »Mit sich selbst befreundet sein«, Jon Kabat-Zinns »Coming to Our Senses«, »I Ging: Das Buch der Wandlungen«, Laotses »Tao te king«, Shunryu Suzukis »Zen-Geist, Anfänger-Geist« und alle Bücher von Thich Nhat Hanh...

Wenn Sie Ihren eigenen Grabstein, klassisch oder plurimedial, entwerfen sollten: Was sollte darauf zu stehen kommen?

Da ich für mein Leben gerne lebe, würde ich über diese Frage gerne möglichst lange noch nicht nachdenken müssen, und lese einstweilen lieber Bücher zu diesem Thema wie Axel Hackes »Wozu wir da sind. Walter Wemuts Handreichungen für ein gelungenes Leben« und Harald Welzers »Nachruf auf mich selbst. Die Kultur des Aufhörens«.

 Der Tag der Pensionierung/Rente ist gekommen. Nennen Sie fünf Dinge, die Sie selbst gern noch in die Hand nähmen, um Ihr Leben schließlich als abgerundet betrachten zu können!

So genannte »bucket-lists« sind mir völlig fremd. Wenn es aber solche fünf Dinge geben würde, dann würde ich sie lange vor der Pensionierung (lies: am besten noch heute) in Angriff nehmen. Außerdem nie vergessen: Hinterm Horizont und hinterm Lebenswerk geht’s weiter, ein neuer Tag…😊.

 Wieviel Platz hat Leid in einem guten Leben?

Man braucht kein Buddhist oder Taoist zu sein, um Leid als einen grundlegenden Teil des Lebens wahr- und anzunehmen und sich zugleich stets darum zu bemühen, es in positivere Zustände für unsere »embodied minds« zu transformieren.

 Wie müsste sich der Umgang mit der Zeit ändern, um Ihr Leben nachhaltig zu verbessern?

Dank eines wirklich wundervollen Geschenks meines Teams zum 25. (umgerechnet in €, Gnade der frühen Geburt) Geburtstag (ein zweitägiges Symposium zur »Entdeckung der Langsamkeit«) habe ich seit langem durch Achtsamkeit, Entschleunigung und Leben im Hier-und-Jetzt meinen Umgang mit Zeit so grundlegend verändert, dass ich Zeitsouveränität gewonnen habe und sich mein Leben in jeder Hinsicht verbessert hat.

Wie viele und welche Freunde braucht man für ein gutes Leben?

Eine bestimmte Zahl gibt es (für mich) nicht; wichtig ist vielmehr, dass man sich auf seine Freundinnen und Freunde verlassen kann, dass es wahre »marble jar friends« (Brené Brown) sind und dass sie den Text des Songs »You’ve got a friend« beherzigen: »You just call out my name…«