Document Actions

Kolloquium zur Medizin- und Wissenschaftsgeschichte: Choreografien psychiatrischer Praxis. Für eine relational-anthropologische Perspektive auf psychiatrische Erkrankungen

When

Nov 21, 2016 from 06:15 to 07:45 (Europe/Berlin / UTC100)

Where

Institut für Geschichte der Medizin, Seminarraum, Jheringstraße 6, 35392 Gießen

Contact Name

Contact Phone

+49 (0) 641 / 99 47701

Add event to calendar

iCal

Choreografien psychiatrischer Praxis
Für eine relational-anthropologische Perspektive auf psychiatrische Erkrankungen


Dr. Martina Klausner
(Humboldt-Universität zu Berlin)


Warum bleiben Menschen psychisch krank? Diese Frage ist vermutlich so alt wie die Psychiatrie selbst und wird ähnlich wie die Ätiologie psychischer Erkrankungen in der Regel mit Verweis auf multi-faktorielle Bedingungen diskutiert: als Zusammenwirken von Vulnerabilitätsfaktoren und (andauernden) externen Stressfaktoren. Wie aber dieses Zusammenwirken konkret interpretiert und vor allem in der Behandlung zum Tragen kommt, ist nach wie vor divers.
In meinen Vortrag werde ich dieser Frage in zwei Schritten nachgehen: Zuerst werfe ich einem kurzen Blick zurück in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts und auf ver-schiedene sozial-/kulturwissenschaftliche wie psychiatrische Versuche, psychische Erkrankungen und deren Chronifizierung zu de-individualisieren und als Ergebnis von Beziehungen zu konzeptualisieren (Individuum – Gesellschaft; Individuum – Psychiatrie). Darauf aufbauend und erweiternd schlage ich eine relational-anthropologische Perspektive vor, die nicht das Individuum (als Träger von Sympto-men, als Objekt von gesellschaftlichen oder therapeutischen Prozessen) in den Blick nimmt, sondern das Leben mit psychischer Erkrankung und deren Behandlung als alltägliche Praxis analysiert. Basierend auf meiner ethnografischen Forschung in psychiatrischen Versorgungseinrichtungen in Berlin und mit Betroffenen über einen Zeitraum von mehreren Jahren diskutiere ich das Konzept der Choreografie, um den Fokus weg von individuellen Behandlungstrajektorien hin zu sozialen, materiell-körperlichen und narrativ-diskursiven Praxisgefügen zu lenken, in denen sich Be-handlung und psychische Gesundheit/Erkrankung in einem zeitlichen Verlauf de/stabilisieren. Zentral ist hier die Frage, was passiert wenn Patient/innen aus der klinischen Choreografie in den großstädtischen Alltag entlassen werden.