Lexikon der regionalen Literaturgeschichte des Mittelalters: Tschechien
(2017-2019)
Gefördert durch:
Das Projekt zielt auf die Erstellung eines Lexikons zur mittelalterlichen deutschen Literatur im heutigen Tschechien von den Anfängen bis zum Ende der Jagiellonenherrschaft, als Teil des ca. 15-bändigen Lexikons der regionalen Literaturgeschichte des deutschen Mittelalters (LLM), verantwortet von Christoph Fasbender, Chemnitz. Es handelt sich hierbei um ein Lexikon, das, nach Ortschaften gegliedert, literarische Räume beschreibt. Erfasst werden Höfe, Städte, Kirchen, Klöster, Schulen, Bibliotheken und weitere Institutionen, an denen Literatur entstand, verbreitet und rezipiert wurde oder wirkte, und regional lokalisierbare bedeutungsvolle Ereignisse, die als Schreibanlässe für Literatur dienten, wie z.B. Schlachten oder Fürstenhochzeiten. Der Fokus liegt dabei auf der deutschsprachigen Literatur; berücksichtigt wird aber auch lateinische Literatur, insofern sie von deutschsprachiger Kultur geprägt ist, etwa die lateinischen Briefe deutscher Humanisten in Prag oder lateinische Texte tschechischer Autoren, die sie nach ihrer Rückkehr vom Studium in Wien oder Leipzig verfasst haben. Es wird nachgezeichnet, wie die „deutsche“ Literatur und Kultur von Ort zu Ort in je unterschiedlichem Maß und Tempo in eine Wechselwirkung zur tschechischen wie auch zur internationalen lateinischen Kultur trat (z.B. im Kontext der internationalen Klosterkultur oder im Kontext der Wissenschaftskultur und des Humanismus), wie sich die verschiedenen Kulturen gegenseitig durchdrangen und wie bis zu den Anfängen der Frühen Neuzeit die Grundlegung einer gesamteuropäischen Kultur in Mitteleuropa erfolgte. Unbestritten ist z.B. die Bedeutung der Universität Prag für die deutsche Bildungsgeschichte; ebenso zentral ist etwa für die Literaturgeschichte des Spätmittelalters der Hof der Luxemburger in Prag. Die hussitische Bewegung hat schließlich Europa in der Frühen Neuzeit grundlegend verändert.
Da im Lexikon nicht nur die Verflechtungen des böhmischen, schlesischen, österreichischen und deutschen Adels nachgezeichnet werden, sondern auch Privatpersonen, die im Besitz deutschsprachiger Literatur waren, oder die Bestände von kleinen Kirchenbibliotheken berücksichtigt werden, werden Fragen der Identitätsstiftung und -bewahrung durch eine Literatur in der eigenen Sprache oder des Kulturimports von den Untersuchungen ebenso berührt wie die Bindung einer kulturellen Identität an einen Ort – oder auch an einen lokalen Heiligen (und damit natürlich wiederum an einen Ort). Das Verhältnis von Religion, Konfession, Sprache und einem frühen Verständnis von „Nation“ wird so detailliert und sehr differenziert anhand von Fallbeispielen aufgedeckt. Ziel ist es letztlich, Räume und Institutionen deutscher Kultur und des multikulturellen Kulturkontakts im heutigen Tschechien, das ein historisch sehr differentes Gebiet darstellt, systematischer und vollständiger zu erfassen, als dies bisher geschehen ist. Dabei soll gerade keine historische kulturelle Einheit oder Abgeschlossenheit des heutigen Tschechiens und noch weniger eine Zugehörigkeit zum deutschsprachigen Raum behauptet werden, vielmehr geht es darum, die verschiedenartigen Regionen mit ihrer jeweiligen Geschichte und die enge Verknüpfung der einzelnen mitteleuropäischen Kulturen untereinander sichtbar zu machen und nach unterschiedlichen auch institutionell bedingten Kommunikationsräumen zu differenzieren. In diesem Sinne versteht sich das Lexikon nicht nur als ein Nachschlagewerk für Mittelalter-Spezialisten oder für Literatur- und Sprachhistoriker, sondern es besitzt hohe Relevanz für den nach wie vor sensiblen Umgang mit dem „deutschen Erbe“ im heutigen Tschechien und für die Fragen der „Einheit“ Europas und der Multikulturalität durch Zuwanderung.
Vorgängerprojekt:
Lexikon der mittelalterlichen Literatur in Ungarn und Rumänien
(2011-2013)
Gefördert durch:
Aus der Germanistischen Institutspartnerschaft zwischen Gießen (vertreten durch Cora Dietl) und Klausenburg (vertreten durch András F. Balogh) und in Kooperation mit Christoph Fasbender (Chemnitz) entstand der erste Band des Lexikons der regionalen Literaturgeschichte des deutschen Mittelalters, finanziert durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien. Das Lexikon basiert auf einem kulturwissenschaftlichen Verständnis von Literatur als einem Teil der Schriftkultur, die Monumentalwerke ebenso wie pragmatische Texte umfasst und die in verschiedenen literarischen Räumen unterschiedlich ausgeprägt ist. Literaturlexika wurden bisher diesem Literaturverständnis selten gerecht. Das vorliegende Lexikon erfasst die deutsche Literatur des Mittelalters in dieser neuen Perspektive. Dabei richtet sich der Blick über die Grenzen des Hl. Römischen Reichs hinaus in kulturelle Kontaktzonen in Europa. Im Zentrum des Interesses stehen Kulturtransfers, die durch verortbare Institutionen und Personen gefördert wurden, welche die Entstehung, Rezeption und Verbreitung von Schriftkultur und literarischer Bildung ermöglichten. Selbst dort, wo durch Überlieferungszufälle keine Schriftzeugnisse mehr vorhanden sind, werden Hinweise auf Kontakte zur Schriftkultur des deutschsprachigen Raums gesammelt. Der erste Band des Lexikons ist Ungarn und Rumänien gewidmet, zwei Ländern, die, so wie sie sich in ihren heutigen Grenzen präsentieren, von der ottonischen bis zur habsburgischen Zeit durch regional und zeitlich sehr unterschiedliche Kontakte mit der deutschen Kultur geprägt sind.