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Gießener Anzeiger vom 14.12.2006

Jesus hat nicht nur ein halbes Jahr gelebt

Kirchenhistorikerin Prof. Athina Lexutt macht Kinder mit der Arbeitsweise und den Methoden von Theologen vertraut

GIESSEN (fm). Manche Kinder, die am Dienstag zur dritten Veranstaltung von Justus´ Kinderuni im laufenden Semester ins Philosophikum II gekommen waren, werden diesmal unter dem Tannenbaum Interessantes zu erzählen haben. Etwa, dass Weihnachten früher vom Martinstag am 11. November bis zum Dreikönigstag am 6. Januar gedauert hat. Und dass es - streng genommen - seit dem 16. Jahrhundert vom 1. Adventssonntag bis zu Mariä Lichtmess am 2. Februar reicht. Mit der Verwirrung über den genauen Termin dieses kirchlichen Festes und seine eigentliche Bedeutung räumte Prof. Athina Lexutt, Dekanin des Fachbereichs Geschichts- und Kulturwissenschaften und Direktorin des Instituts für Evangelische Theologie, vor rund 150 Kindern und erstaunlich vielen Eltern auf. Beeindruckt zeigte sich die Kirchenhistorikerin gleich zu Beginn von dem Ansturm der kleinen Hörerinnen und Hörer auf die vordersten Bankreihen. "Bleibt so!" rief sie den Acht- bis Zwölfjährigen - darunter manch jüngerer Steppke - zu. Denn ältere Studierenden bevorzugten gewöhnlich den hinteren Teil der Hörsäle.

Am Beispiel der Frage "Wann ist Weihnachten?" machte Lexutt die Kinder mit der Arbeitsweise und den Methoden von Theologen vertraut. Mit Hilfe der Bibelwissenschaft und der Kirchengeschichte lasse sich ein "Netzwerk von Fragen und Antworten" erstellen und auf den Alltag übertragen. "Man kann auch ganz viel Unsinn über den lieben Gott erzählen", warnte Lexutt. Deshalb müssten Pfarrer und Religionslehrer ihr "Handwerkszeug" bei den Theologen an der Universität erlernen. Erst auf diese Weise lasse sich beantworten, "was an Jesus so toll ist" und ob er tatsächlich Mensch geworden ist. "Theologie fragt danach, wie und warum uns der Glaube an Gott hilft, die Welt besser zu verstehen und die Welt besser zu machen", betonte die Gießener Wissenschaftlerin.

Dass Weihnachten erst seit dem Jahr 350 nach Christus gefeiert wird, war für viele Nachwuchshörer überraschend. Dass ein enger Zusammenhang mit dem zu Ostern gefeierten Fest der Auferstehung besteht, konnte die Wissenschaftlerin überzeugend vermitteln. Trotzdem rief ein Junge dazwischen: "Jesus hat doch nicht nur ein halbes Jahr gelebt." Weithin unbekannt - nicht nur unter Kindern - ist, dass der Tannenbaum ursprünglich "in die Krippe gestellt" wurde, um an den Paradiesbaum zu erinnern. Erst unter den Nazis sei der "Christ"baum zu einem "Weihnachts"baum geworden, wobei die "geweihte Nacht" nicht christlich gemeint war, betonte Lexutt. Weil es Martin Luther nicht gefiel, "dass ein Heiliger mehr verehrt wurde als Christus", wurde das Geschenke-Verteilen vom Nikolaustag auf Weihnachten verlegt. Für viel Hallo sorgte ein Werbefoto von Coca Cola, auf dem ein älterer Angestellter der Firma mit weißem Rauschebart in ein rotes Santa-Claus-Kostüm geschlüpft war. "Als es noch Winter gab", sei der von den Niederlanden nach USA exportierte Nikolaus mit Pelzbesatz, Stiefeln und Handschuhen eigens winterfest gemacht worden, schmunzelte die Expertin für Kirchengeschichte.

Nach Hinweisen auf die Ursprünge von Adventskranz und Adventskalender ("in der Nazizeit mit Märchenmotiven statt mit christlicher Bebilderung") sagte Lexutt zum Abschluss ihrer Vorlesung: "Weihnachten ist eine Mahnung, anderen Licht und Freude in ihre Dunkelheit und Trauer zu bringen". Und das gelte für jeden Tag, "an dem wir diese Botschaft verkünden und sie leben".