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Manifestation des Undarstellbaren Das Reale im Szenario: Theatralität als Codierung von Risiko in Zukunftsentwürfen

Promotionsprojekt von Jules Buchholtz.
Betreuer: Prof. Dr. Gerald Siegmund (ATW Gießen)

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Kurzdarstellung des Promotionsprojekts
Szenarien bilden eine ungewisse Zukunft ab, die es zu gestalten gilt und antworten darin auf das Bedürfnis, das, was morgen sein wird, heute schon zu wissen. Die Zukunft auf diese Weise situativ zu antizipieren, ist Teil eines prospektiven Denkens, das die Zukunft als weitgehend gestaltbar und als Raum der Entfaltung individueller Imagination und Projektion begreift.

Für ein solches Denken funktionieren Szenarien als Katalysatoren des Abwesenden, Entzogenen und oszillieren als künstlerisch-wissenschaftliche Vergegenwärtigungen künftiger Ereignisse zwischen Gegenwart (Realität) und Zukunft (Fiktion). In den 70er Jahren, zuerst durch den Konzern Shell (Royal Dutch Shell) in Zusammenhang mit der Ölkrise eingesetzt, sind Szenarien für politisches Roadmapping (preemptive policy) und Krisenmanagement in globalen Zusammenhängen von Ökonomie und Marktentwicklung, Demographie, Klimaforschung, Militär- und Waffentechnik und die Ableitung von Best-Practise-Modellen innerhalb einer sogenannten „Wissensgesellschaft“, die sich die Partizipation vieler an vielem zum Ziel gesetzt hat und mit der künftig erforderlichen Fähigkeit des „Aushaltens von Ambivalenz und Unsicherheit“ (Heinrich-Böll-Stiftung) kalkuliert, zu einer gängigen Kulturtechnik und zum meist-bemühten Mittel der Vorausschau geworden.

Multiple Szenariotechnik liefert „Zukünfte auf Vorrat“, die wechselnder Faktoren gemäße Ereignisverläufe illustrieren und auf diese Weise eine „Lernumgebung zur Sensibilisierung für das Ungewisse“ (Jonas) schaffen. In ihrer oft ununterscheidbaren Verschmelzung sowohl quasi- als auch wissenschaftlicher Fakten mit künstlerisch ausgestalteter Simulation sind sie eindeutig als signifikante Praktiken zu verstehen. Insofern sie allerdings ihr Potential weit jenseits des üblicherweise für letztere vorgesehenen Rahmens entfalten, muß man sie auch als eine außerhalb der wissenschaftlichen und künstlerischen Disziplinen wirksame Kulturpraxis der Gestaltung von Gegenwart begreifen. Denn Szenarien bringen nicht nur fingierte, d.h. entworfene und auf eine Zukunft projizierte Realitäten zur Darstellung, sondern tun dies mit einem konsekutiven Wirklichkeitsanspruch. Es liegt im Kalkül des Szenarios, eine mögliche Realität zu veranschaulichen, sie plausibel erscheinen zu lassen, um sie entweder zu verhindern oder herbeizuführen; bzw. aus der entworfenen Realität ein (im Fall von worst-case Szenarien umso wirksameres) Handlungsmotiv zu generieren („Katastrophenschwelle“, Luhmann).

Ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal in Bezug auf den Zweck seiner Produziertheit besteht im Fall des Szenarios darin, daß es anders als klassische deskriptive Praktiken nicht der möglichst präzisen, disziplingetreuen und nachweisbaren Darlegung wissenschaftlicher Gehalte verpflichtet ist, sondern einer seinem Kalkül entsprechend zielführenden, kohäsiven und spektakulären Darstellungsform. Für diese Darstellungsform ist die Erbringung von Nachweisen nur mehr stellenweise erforderlich, während Plausibilitäten zu erzeugen, zur Notwendigkeit wird. Mit dem Szenario als Hebel, erweitert sich der Riß zwischen Wissen und Wahrheit so weit, daß er den Blick auf ein Panorama der Zukunft freigibt; einen Schauplatz, auf dem sich Abwesendes vergegenwärtigt, Hoffnung Kontur gewinnt und sich Ahnungen zu Gewißheiten verdichten. Versehen mit einem Anspruch auf Wahrscheinlichkeit, eröffnet die panoramatische Zusammenschau künftiger Ereignisse einen tatsächlichen Handlungsspielraum, der Entscheidungen zwischen Wissen und Glauben, Hadern und Hoffen, Unterlassen und Handeln erfordert, weil über den Ausgang des Spiels nun nicht mehr die Fortune entscheidet, sondern eine gute Taktik.

Zur im doppelten Wortsinn zu verstehenden Dramatisierung von Wissen, so die These, bedient sich das Szenario häufig theatraler Strategien, mit Hilfe derer ein fingiertes Modell (Problemfeld) durch Theatralität, dh. die Verschneidung statischer und dynamischer Komponenten und heterogener Materialitäten aufgeführt wird und vital erscheint. Wissen in einer Dimension von Aufführung wird so im Zuge einer systempraktischen, zweck- und handlungsorientierten Wissensvermittlung, wie der Einsatz von Szenarien es vorsieht, zu einem entsprechend nachhaltig wirkenden „Denkereignis“ (Badiou) und damit Ausgangspunkt der Organisation finaler, dh. zweckhafter und geplanter Handlungsstrukturen (Welzel).

In den popularisierenden Diskursen wirkt das Szenario daher als signifikante Praxis des Wissenstranfers, die durch Anschaulichkeit (Adorno) und den Einsatz halb künstlerisch, halb wissenschaftlich codierter Darstellungsformen Plausibilitäten erzeugt und Wissen generiert, das zwar nicht wirklich gewußt, wohl aber geglaubt werden kann und so schlicht Wahrheiten hervorbringt. So ist z.b. der Klimawandel, ehe er common sense und ein Entwurf zu einer „unbequemen Wahrheit“ (Gore) wurde, zunächst ein Szenario gewesen, das, wie jeder andere beliebige und derzeit ubiquitär vorzufindende Krisendiskursbesondere Aufmerksamkeit und zeitnahes Handeln vorsieht.

Aus der Abwesenheit globaler (und daher nicht überall zur selben Zeit mit derselben Intensität beobachtbarer) Prozesse entsteht die scheinbare (und umso vehementer behauptete) Notwendigkeit einer verdichteten, panvisionistischen, d.h. szenarischen Zusammenschau anders als nicht identifizierbar geltender Risiken (Schwartz), um das reale (Lacan) irreversible Ereignis intensitätsmäßig zu antizipieren und die Krise zum status quo erklären und entsprechend erforderliche Maßnahmen ergreifen zu können. Ein auf möglichen Bedrohungen und dräuenden Krisen aufgebautes Risikoregime (Security Regime, Price; Risikogesellschaft, Beck) wäre die konkrete Ausübung einer gouvernementalen Beziehung der Zukunft zur Gegenwart und Ausgangspunkt einer Performanz des Realen, die diese Arbeit vor dem Hintergrund der hier genannten Aspekte in den Blick nimmt. Die Codierung von szenarisch repräsentiertem Wissen, dessen Suggestivkraft sich zum Teil erst durch das Bedürfnis nach Absehbarkeit, Erfahrungen,
vorhandene Befürchtungen und Hoffnungen zu einer Wahrheit verdichtet, bildet die Grundlage für die kritische Auseinandersetzung mit einer Kulturpraxis, für die das Reale der Zukunft zu einer „ideologisch beliebig einsetzbareren Trumpfkarte“ (Critchley) -zu einem Kompass auf der Feldführung durch eine Gegenwart wird, die selbst als zusehends unsicherer gilt.

 

Kurzbiographie von Jules Buchholtz
Jules Buchholtz studierte Philosophie an der Ruprecht-Karl-Universität Heidelberg, Angewandte Theaterwissenschaft an der Justus-Liebig-Universität Gießen und Fine Art and Performance am Dartington College of Arts (GB).

Sie schreibt derzeit ihre Dissertation am Institut für Angewandte Theaterwissenschaft bei Prof. Dr. Gerald Siegmund zum Thema „Theatralität im Szenario. Zur Codierung von Wissen als Wahrheit in Zukunftsentwürfen“ und ist Mitglied am Graduiertenkolleg

International Centre for the Study of Culture (GCSC) der Universität Gießen.

 

Sie arbeitet theoretisch und künstlerisch mit Schwerpunkt in den Bereichen Installation, Performance und Szenario und war u.a. tätig als wissenschaftliche Autorin für die Studie „Freies Theater in Hamburg. Vorschläge für ein neues Fördersystem“ i.A. der Kulturbehörde der freien und Hansestadt Hamburg, des Dachverbandes Freies Theater in Hamburg und der Universität Hamburg (2010), als freie Autorin und Regisseurin in verschiedenen Projekten. „Zomobology“ ATW, Stadttheater Gießen, HAU 3 Berlin, Festival Junger Talente Offenbach (2005-08); „Geliebt sei wer sich hinsetzt“, Kulturhuset Stockholm, Forum der Künste Hellerau (2009) und als künstlerische Leitung: „Surviving Dance – Kunst, Wirtschaft, Politik - Neue Netzwerke zwischen Kunst und Wirtschaft“, K3 Zentrum für Choreographie Tanzplan Hamburg, Kampnagel Hamburg (2011), „Schiller-Helden“ 4-Städte-Projekt i.A. der Landesregierung Thüringen (2009), „Secret Service Eilbek – eine Heldenagentur“ (Hamburg 2012). Sie lebt und arbeitet in Hamburg.