Cora Dietl, Germanistikprofessorin
Was darf in keinem guten Leben fehlen?
Zeit.
Im Film Being John Malkovich findet der Protagonist zufällig einen geheimen Eingang zum Kopf des Schauspielers John Malkovich. In wessen Kopf wären Sie gern mal für einen Tag?
Aber bitte nur mit Rückfahrticket in meinen eigenen Kopf: eine der großen Visionärinnen, z. B. die Hl. Brigitta von Schweden.
Was ist für Sie ein perfekter Tag?
Ein Tag, an dem ich alles erledigt habe, was ich mir vorgenommen hatte, alle Bitten meiner Mitmenschen erfüllen konnte und trotzdem noch Zeit habe, um durchzuatmen, ein Eis zu essen und genügend Schlaf zu bekommen.
Wo/an welchen Orten findet man ein gutes oder besseres Leben?
Nur zu Hause. Ein gutes Leben an anderen Orten ist nur ein Ausnahmezustand, der nicht von Dauer sein kann.
Was ist für Sie ein gutes Buch bzw. eine gute Lektüre?
Ein Buch, bei dem ich mich auf jeder Seite darüber freuen kann, wie gekonnt der Autor mit Sprache und Rhetorik umgeht, zudem eines, das keine einfachen Lösungen vorgibt, sondern eher zum Denken anregt.
Was braucht es, damit Sie am Ende Ihres Lebens zurückblickend sagen können, dass es ein gutes Leben war?
Dass ich meinen Mitmenschen das Leben ein Stückchen leichter gemacht und dabei das, was mir wichtig ist, nicht vergessen habe.
Wie muss jemand leben oder gelebt haben, damit Sie ihn als Vorbild eines guten Lebens akzeptieren?
Ihm/ihr muss das Gemeinwohl wichtiger sein als der eigene Komfort oder gar die eigene Macht.
Welche Rolle spielt Arbeit für ein gutes Leben?
Genussvoll kann ein Leben ohne Arbeit sein (zumindest einige Zeit lang, bis es langweilig wird), gut ist ein Leben ohne irgendeine Art von Arbeit sicher nicht.
Am Ende von Rainer Maria Rilkes Sonett »Archaischer Torsos Apollos« heißt es: »Du mußt dein Leben ändern.« Welches Buch hat Sie aus welchen Gründen schon einmal auf den Gedanken gebracht, dass es eine gute Idee wäre, Ihr Leben zu ändern?
Da halte ich es mit Goethes »Faust«: »Der Mensch irrt, solang er strebt« – oder auch mit Wolframs von Eschenbach »Parzival«: »ouch erkande ich nie sô wîsen man, / er enmöhte gerne künde hân / welher stiure disiu mære gernt / und waz si guoter lêre wernt«. - Sprich: Gute Literatur zeigt einem, was man alles falsch machen kann und regt dazu an, es trotzdem zu versuchen, den rechten Weg zu finden, wenn auch vergeblich. Aber das Patentrezept zum guten Leben kann kein Text vermitteln. Das macht das gute Leben ja zu einem so spannenden literarischen Thema.
Wenn Sie Ihren eigenen Grabstein, klassisch oder plurimedial, entwerfen sollten: Was sollte darauf zu stehen kommen?
Bitte einfach nur meinen Namen, mein Geburts- und Sterbedatum. Meine Nachwelt soll sich an das erinnern, was ich (hoffentlich) jedem einzelnen Menschen bedeutet habe, ohne dass ich da etwas vorgeben möchte.
Der Tag der Pensionierung/Rente ist gekommen. Nennen Sie fünf Dinge, die Sie selbst gern noch in die Hand nähmen, um Ihr Leben schließlich als abgerundet betrachten zu können!
1. Dafür kämpfen, dass meine Stelle erhalten bleibt und ein/e hoffnungsvolle Jungakademiker/in eine Chance bekommt. 2. Klären, dass ich, falls ich ein Pflegefall werde, keinem Verwandten auf der Tasche liege. 3. Durch ein gerechtes Testament Erbstreitigkeiten vorbeugen. 4. Alle liegengebliebenen Projekte und Veröffentlichungen abschließen, damit keiner sich genötigt fühlen muss, daran noch weiterzuarbeiten. Das zählt, denke ich, für mindestens 2 Punkte.
Wieviel Platz hat Leid in einem guten Leben?
Es gehört dazu.
Wie müsste sich der Umgang mit der Zeit ändern, um Ihr Leben nachhaltig zu verbessern?
Es könnte helfen, wenn die Tage auf 50 Std. verlängert werden würden. Allerdings würde ich dann wieder mehr Aufgaben annehmen... ach nein, lassen wir es so, wie es ist.
Wie viele und welche Freunde braucht man für ein gutes Leben?
Es müssen nicht viele sein, aber solche, auf die man sich absolut verlassen kann und die ihre Hilfe und ihren Rat nicht davon abhängig machen, wieviel Zeit man vorher lückenlos in sie investiert hat.