MC: Doris Bachmann-Medick: Beschreiben oder Erzählen? Zur Problematik wissenschaftlicher Repräsentation
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- MC: Doris Bachmann-Medick: Beschreiben oder Erzählen? Zur Problematik wissenschaftlicher Repräsentation
- 2016-07-13T11:00:00+02:00
- 2016-07-13T14:00:00+02:00
Jul 13, 2016 from 11:00 to 02:00 (Europe/Berlin / UTC200)
Phil I, GCSC, R. 001
Beschreiben und Erzählen – dies sind nicht nur zwei unterschiedliche Darstellungsmethoden, sondern auch “grundlegend verschiedene Stellungen zur Wirklichkeit” (Georg Lukács). Von Lessing bis Lukács wurde das Beschreiben lange Zeit abgewertet, während das Erzählen als Mittel der sprachlichen Selbstentfaltung des handelnden Menschen Vorrang erhielt. Gegenwärtig findet man eine Neubewertung der Beschreibung als einer wichtigen Kulturtechnik im 20./21. Jh. – ausgelöst durch die sogenannte “Krise der Repräsentation”.
Die Frage “Beschreiben oder Erzählen?” ist für alle Projekte relevant, die mit der Repräsentation von Kulturen, sozialen Gruppen und Personen, aber auch mit literarischen Darstellungsformen zu tun haben. Sie ist für alle zentral, die literarische, ethnographische, postkoloniale, sozialwissenschaftliche, historische Darstellungsweisen reflektieren (vgl. Writing Culture Debatte; “dichte Beschreibung”, “teilnehmende Beobachtung”) und die überhaupt narrative Praktiken und Strategien kritisch überdenken – in ihren weitreichenden (auch gesellschaftlichen und politischen) Konsequenzen sowie im Hinblick auf ihre Repräsentationsautorität.
Ist Beschreiben mit Zuschauen, Erzählen mit Teilnehmen verknüpft? Ist das Beschreiben auf Dinge, das Erzählen auf Menschen bezogen? Nicht zuletzt durch die gegenwärtige Fokussierung auf Dinge in den Kulturwissenschaften, welche die Vorstellung von einem autonom handelnden Subjekt relativiert, wird neuerdings die Kulturtechnik der Beschreibung noch weiter aufgewertet und für die unterschiedlichsten Disziplinen der Kulturwissenschaften fruchtbar gemacht.
Wird die Beschreibung zu einer kritischen Herausforderung der Erzählung, gerade weil sie eine explizite Methode der Vermeidung von Sinnzuschreibungen ist? Kann die Beschreibung z.B. in Situationen von Traditionsbruch und Traumata, von Störungen und Fragmentierungen noch Unbeschreibbares andeuten, wo die Erzählung schon längst keinen Sinn mehr verleihen kann?
Die Master Class will ausloten, in welchen Feldern die Kategorie der Beschreibung gerade auch für die jeweiligen Dissertationsprojekte neue Erkenntnisimpulse vermitteln kann (z.B. Detailerforschung, Hierarchisierungen, Darstellungsunsicherheiten angesichts von Bildern, Räumlichkeit und Dinglichkeit, kulturellen Artikulationen, Fremdheit, Gewalt).
Die MC besteht in ihrem 1. Teil aus einer Einführungsvorlesung, im 2. Teil aus einer Lektürediskussion. Im 3. Teil werden (aufgrund vorher eingereichter Fragen) konkrete Anwendungsbezüge zu den eigenen Arbeiten hergestellt, die sich dann in einer „Ertragssitzung“ gegen Ende des Semesters noch vertiefen lassen.
Diskussionsgrundlage:
Klaus R. Scherpe, Beschreiben, nicht Erzählen! Beispiele zu einer ästhetischen Opposition: von Döblin und Musil bis zu Darstellungen des Holocaust. Antrittsvorlesung HU Berlin 20. Juni 1994:http://edoc.hu-berlin.de/humboldt-vl/scherpe-klaus/PDF/Scherpe.pdf (literaturwissenschaftlicher Zugang).
Stefan Hirschauer, Ethnografisches Schreiben und die Schweigsamkeit des Sozialen. Zu einer Methodologie der Beschreibung. In: Zeitschrift für Soziologie 30,6 (2001): 429-451, besonders 429-439 und 445-451 (sozialwissenschaftlicher Zugang).