Wie Pflanzen sehen
Einblicke in das Auge der Pflanzen: Studie von Forscherinnen und Forschern aus Gießen und Berlin – Veröffentlichung in „Nature Plants“
Nr. 75 • 5. Mai 2020
Pflanzen leben von Licht, doch die Photosynthese ist dabei nur ein Teil des Ganzen. So besitzen alle Pflanzen Phytochrome – spezielle Moleküle, die den Pflanzen eine Art von Sehvermögen vermitteln und damit die Biochemie der Zelle und die Entwicklung der Pflanze steuern können. Inzwischen weiß man, dass Phytochrome fast ein Viertel des Pflanzengenoms regulieren. Unklar war bislang jedoch, wie Phytochrome genau funktionieren: Wie wird das Licht aufgenommen? Was passiert danach im Molekül, wie wird das Lichtsignal weitergegeben? Die Arbeitsgruppe von Prof. Jon Hughes am Institut für Pflanzenphysiologie der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) hat nun gemeinsam mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in Berlin einen großen Schritt gemacht, um dies zu verstehen. Ihre Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift „Nature Plants“ veröffentlicht.
Phytochrome sind türkisfarbige Proteine, die in der Lage sind, Rot- und Infrarotlicht aufzunehmen. Obwohl Pflanzen keine Bilder ihrer Umwelt erstellen können, sind sie mit ihren Phytochromen dennoch fähig, äußerst schwaches Licht wahrzunehmen, sogar Farben zu unterscheiden. Sie erkennen somit Blätter in ihrer Nachbarschaft und können auf Bedrohung von Konkurrenten reagieren. Den Teams aus Gießen und Berlin ist es jetzt gelungen, die dreidimensionalen Strukturen von verschiedenen pflanzlichen Phytochrom-Molekülen zu entziffern. Darin sichtbar ist das Bilin-Pigment, womit das Photon – also Licht – aufgenommen wird, auch die chemischen Verbindungen zwischen dem Bilin und dem Protein sind erkennbar. Ein Teil des Bilin-Pigments dreht, wenn es durch Lichtenergie angeregt wird. Dies ändert die Wechselwirkung mit dem Protein, sodass ein Teil seiner Struktur auseinandergerissen und neu gebildet wird. Diese Änderungen wiederum schalten die Signalweiterleitung ein.
Die Phytochromstrukturen wurden mit Hilfe von röntgenkristallographischen Messungen am BESSY II-Synchrotron in Berlin erstellt. Die Gießener konnten verschiedene Phytochrom-Moleküle dazu bringen, dass sie in kleinen Tröpfchen mikroskopische, saphir-ähnliche Kristalle bilden. Bestrahlt man diese Kristalle mit hochintensivem Röntgenlicht, wie es am BESSY II erzeugt wird, erhält man sogenannte Diffraktionsmuster woraus die 3D-Strukturen errechnet und mit Hilfe weiterer Informationen Einzelheiten der molekularen Funktionsweise aufgeklärt werden konnten.
Prof. Hughes bedankt sich herzlich bei den beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in Gießen und Berlin. „Mit unserer Grundlagenforschung wollen wir herausfinden, wie Phytochrome funktionieren. Dabei sind wir nun einen großen Schritt weitergekommen, aber es gibt noch eine Menge zu tun“, so Hughes. „Schon heute können wir jedoch mit gentechnischen Methoden das Phytochromsystem von Nutzpflanzen so verändern, dass die Pflanzen besser wachsen und bessere Ernten erzielt werden können.“
Die Arbeit wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) über den von der FU Berlin koordinierten DFG-Sonderforschungsbereich SFB 1078 „Protonation Dynamics in Protein Function“ finanziert, an dem die Arbeitsgruppe Hughes beteiligt ist.
- Publikation
Nagano et al.: Structural insights into photoactivation and signalling in plant phytochromes, Nature Plants, online veröffentlicht am 4. Mai 2020, DOI: 10.1038/s41477-020-0638-y
- Weitere Informationen
www.nature.com/articles/s41477-020-0638-y
- Kontakt
Prof. Jon Hughes, Ph.D.
Institut für Pflanzenphysiologie
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