Fest oder flauschig: EU-Millionen für die Rätsel der Materialwahrnehmung
JLU-Wahrnehmungspsychologe Prof. Roland W. Fleming erhält seinen zweiten ERC Grant
Nr. 46 • 30. März 2023
Um festzustellen, ob Objekte rau oder glatt, hart oder weich, nass oder trocken sind, müssen wir sie nicht anfassen – meist genügt ein Blick. Die Frage, wie das Gehirn diese Objekteigenschaften aus den Lichtmustern auf unserer Netzhaut ableiten kann, beschäftigt den Wahrnehmungsforscher Prof. Dr. Roland W. Fleming von der Justus-Liebig-Universität Gießen. Um das Geheimnis der Materialwahrnehmung zu entschlüsseln, fördert der Europäische Forschungsrat (ERC) Prof. Fleming bereits zum zweiten Mal mit einem der begehrten ERC Grants. Im Jahr 2016 erhielt er bereits einen ERC Consolidator Grant; für sein aktuelles Forschungsvorhaben STUFF (Seeing Stuff: Perceiving Materials and their Properties) wird er mit einem ERC Advanced Grant in Höhe von 2,5 Millionen Euro für die kommenden fünf Jahre ausgezeichnet.
„Wie Oberflächen aussehen und sich anfühlen, ist für unseren Alltag von enormer Bedeutung. Es hilft uns zum Beispiel, herauszufinden, ob der Boden sicher oder das Essen frisch ist“, erklärt Prof. Fleming. In seinem neuen Projekt will er untersuchen, wie wir Objekte und Materialien wahrnehmen, interpretieren und mit ihnen interagieren. Damit möchte er den zugrundeliegenden Prozessen im Gehirn auf die Spur kommen.
Materialwahrnehmung ist dabei nicht nur nützlich, sondern auch für einen Großteil der ästhetischen Freude am Sehen verantwortlich: "Das Glitzern von Diamanten, der Glanz von Autolack oder Bildhauerkunst, um in Marmor die verblüffende Illusion eines zart drapierten Stoffes zu erzeugen - all das ist Materialwahrnehmung", erklärt Prof. Fleming. Die Erkenntnisse aus dem Projekt werden Produktdesignern und den Entwicklern von Werkzeugen für die digitale Kreativwirtschaft helfen, ihre Algorithmen auf die menschliche Wahrnehmung abzustimmen.
Im Rahmen des Projekts werden auch die im Labor von Prof. Fleming entwickelten Technologien eingesetzt, um zu messen, wie Menschen Objekte ergreifen und mit ihnen interagieren. Das System nutzt künstliche Intelligenz, um detaillierte Modelle der Hände von Menschen zu rekonstruieren, während sie Objekte aufheben und manipulieren. Damit soll untersucht werden, welche Auswirkungen die physikalischen Eigenschaften der Objekte haben. Denkbar ist, dass die daraus gewonnenen Erkenntnisse langfristig für die Rehabilitation von Schlaganfallpatienten genutzt werden könnten, die Schwierigkeiten haben, ganz alltägliche Aufgaben zu bewältigen.
Prof. Flemings Forschungsgebiet ist ein Kerngebiet des JLU-Schwerpunktbereichs „Mechanismen der Wahrnehmung und Anpassung“, der auch international eine führende Rolle einnimmt. „Dass die Stärke und das Renommee unserer Wahrnehmungsforschung ein weiteres Mal vom Europäischen Forschungsrat honoriert wird, freut mich sehr“, betonte JLU-Präsident Prof. Dr. Joybrato Mukherjee. „Ich gratuliere Prof. Fleming herzlich zu dieser hochverdienten Auszeichnung und freue mich auf weitere spannende Erkenntnisse zu den Geheimnissen der menschlichen Wahrnehmung“.
Prof. Dr. Roland Fleming forscht seit 2010 als Professor für Experimentelle Psychologie an der JLU. Der gebürtige Engländer studierte Psychologie, Philosophie und Physiologie in Oxford und promovierte 2004 am MIT (Massachusetts Institute of Technology) zum PhD. Anschließend war er Projektleiter am Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübingen. Prof. Fleming wurde im Jahr 2012 mit dem Preis der Justus-Liebig-Universität ausgezeichnet; die Vision Sciences Society verlieh ihm im Jahr 2013 den Young Investigator Award.
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Prof. Dr. Roland Fleming, Allgemeine Psychologie
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