Das Ganze im Blick: Wie das Gehirn die Schönheit von Bildern bestimmt
Neuroinformatiker vergleichen die Wahrnehmung von Menschen und künstlicher Intelligenz
Nr. 27 • 4. März 2024
Ob ein Bild als schön empfunden wird, hängt offenbar auch davon ab, wie sehr sich das Gesamtbild von der Summe seiner Einzelteile unterscheidet. Dies ist das Ergebnis von Forschungen der Arbeitsgruppe Neuroinformatik der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU), die jetzt in der Zeitschrift „Science Advances“ veröffentlicht wurden. Prof. Dr. Daniel Kaiser und Dr. Sanjeev Nara haben dazu künstlichen neuronalen Netzwerkmodellen Fotos von Szenen sowie nur Teile derselben Fotos gezeigt. „Der Einsatz von künstlichen neuronalen Netzen, die sehr ähnlich zu visuellen Gehirnmechanismen arbeiten, bietet uns den Vorteil, dass wir Hunderte von Bildern automatisiert und in kurzer Zeit evaluieren können“, sagte Prof. Kaiser.
Die Forscher haben untersucht, ob die Modelle die Bilder als einfache Summe der Teile erkannt haben oder das Gesamtbild anders kodiert wird. Um das an einem simplen Beispiel zu verdeutlich: Drei Bildteile mit einzelnen Linien werden ganz anders wahrgenommen als ein Gesamtbild, das ein Dreieck darstellt.
Das Forscherteam hat im Anschluss seinen menschlichen Probandinnen und Probanden die Bilder (nicht die Teile der Bilder) gezeigt und sie darum gebeten, zu bewerten, wie sehr das jeweilige Bild sie anspricht und als schön empfunden wird. Die überraschende Erkenntnis der Wahrnehmungsforscher: Je mehr sich das ganze Bild von der Summe seiner Teile unterschied, umso besser gefiel es den Menschen.
„Unsere Forschung bietet eine neuartige Erklärung dafür, warum uns Bilder gefallen. Wenn ein Bild als neuartiges Ganzes wahrgenommen wird, empfinden wir es als schöner“, erklärt Prof. Kaiser. Das passe zu vorherigen Forschungsergebnissen, wonach das Gehirn solche Bilder auch mit weniger Aufwand analysieren kann. Möglicherweise sei das auch ein Grund dafür, warum uns solche Bilder eher ansprechen. In der Zukunft planen die Forscher, ihre Methode auch auf visuelle Kunst anzuwenden, um besser zu verstehen, zu welchem Grad auch die ästhetische Evaluation von Kunst von visuellen Gehirnprozessen abhängt.
Daniel Kaiser ist Professor für Neuroinformatik am Mathematischen Institut der JLU. In seiner Forschung befasst er sich mit der Wahrnehmung und neuronalen Kodierung von komplexen visuellen Umwelten. Er ist auch Teil der aktuellen Exzellenzcluster-Initiative „The Adaptive Mind (TAM)“ der Universitäten Gießen, Marburg und Darmstadt.
- Publikation
Sanjeev Nara, Daniel Kaiser: Integrative processing in artificial and biological vision predicts the perceived beauty of natural images. Science Advances, March 01, 2024
https://doi.org/10.1126/sciadv.adi9294
- Kontakt
Prof. Dr. Daniel Kaiser, Professur für Neuroinformatik
Mathematisches Institut
Telefon: 0641 99-32110
E-Mail: daniel.kaiser
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