Auswirkungen der Corona-Krise auf die Weiterbildung
Internationale Studie der Professur für Weiterbildung – Disruptor, Beschleuniger und Brennglas
Nr. 144 • 18. September 2020
Welche Folgen hat die weltweite Corona-Krise auf den Weiterbildungssektor? Die Professur für Weiterbildung an der Justus-Liebig-Universität Gießen hat sich seit dem Frühsommer mit dieser Forschungsfrage beschäftigt und 54 international einschlägige Expertinnen und Experten wiederholt befragt. Die ersten Zwischenergebnisse der Studie der Universität Gießen beschreibt Projektleiter Professor Bernd Käpplinger anhand der drei Schlüsselbegriffen „Disruptor“, „Beschleuniger“ und „Brennglas“.
Die Corona-Krise wird als ein „Disruptor“ bezeichnet, da sich tiefgreifende Einschnitte zeigen. Eine Expertin beschreibt die Frühphase der Krise wie folgt: “The lockdown of physical co-operation touches the heart of adult education.” („Die Verhinderung physischer Zusammenarbeit trifft die Erwachsenenbildung mitten ins Herz.“) Weiterbildungseinrichtungen mussten während des Lockdowns schließen; Seminare und Kurse fanden nicht statt oder wurden abgebrochen. Die wirtschaftlichen Folgen sind für viele Institute verheerend. Lernende erhalten teilweise keine Abschlüsse, weil Prüfungen ausfallen mussten. Mittlerweile hat sich die Situation zwar oft normalisiert, aber der Weiterbildungssektor steht weiterhin vor vielen Herausforderungen. Hier sind sich die Expertinnen und Experten uneinig, wie lange diese Probleme andauern werden und ob die Weiterbildungsszene sich durch diese Krise nachhaltig verändern wird.
In der Delphi-Studie wird die Corona-Krise von den Befragten zudem als „Beschleuniger“ eingeschätzt. So haben viele Weiterbildungseinrichtungen große Fortschritte in der Digitalisierung ihrer Angebote gemacht. Entwicklungen, die ansonsten eher noch Jahre gebraucht hätten, vollzogen sich so innerhalb weniger Wochen bis Monate. Die dringende Notwendigkeit zur Digitalisierung ist nun offensichtlich. Allerdings wird auf fortdauernde Probleme verwiesen, da die technische Infrastruktur nicht ausreicht und nicht alle Themen (zum Beispiel Kunst,- Koch- oder Sportkurse) mit hoher Qualität digitalisiert werden können.
Es wird über neue Phänomene wie „Zoom-Müdigkeit“ berichtet. Nicht alle Lernenden und Lehrenden seien technisch ausreichend ausgestattet und genügend motiviert für digitales Lernen, so Prof. Käpplinger. Die Krise könne daher soziale Polarisierungen verschärfen.
Schließlich wirke die Coronakrise wie ein „Brennglas“, wie Befragte es nennen. Grundsätzliche Schwächen der Weiterbildung treten demnach noch deutlicher hervor. Dazu zählen mangelnde öffentliche Finanzierung, problematische Infrastruktur, unzureichende soziale Absicherung von freiberuflich Lehrenden, geringe Zahlungs-/Investitionsbereitschaft von Unternehmen für Weiterbildungsangebote während der Krise oder zu wenig öffentliche Aufmerksamkeit für den Weiterbildungssektor – insbesondere im Vergleich zu anderen Bildungsbereichen wie Schule oder Hochschule. Allerdings stellen sich diese Mängel in jedem Land unterschiedlich dar. Deutschland schneidet im internationalen Vergleich aufgrund seiner starken Wirtschaftskraft und seiner öffentlichen Mitverantwortung für die Weiterbildung relativ gut ab, was aber nicht bedeutet, dass der deutsche Weiterbildungsmarkt ausreichend abgesichert ist.
Delphi-Studien zeichnen sich dadurch aus, dass Personen über einen längeren Zeitraum mehrfach konsultiert werden. Zwischenergebnisse fließen in nachfolgende Befragungswellen ein und werden fortlaufend in referierten Zeitschriften eingereicht und publiziert. Das Forschungsprojekt wird in mehreren Befragungswellen bis mindestens 2021 fortgeführt.
- Weitere Informationen
http://www.uni-giessen.de/fbz/fb03/institute/ifezw/prof/wb/team
- Kontakt
Prof. Dr. Bernd Käpplinger,
Karl-Glöckner-Straße 21B, 35394 Gießen
Mobil: 0151 57265 148
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