Materialien mehrdimensional abbilden
Neues Massenspektrometer am Zentrum für Materialforschung der Universität Gießen ermöglicht die höchst präzise Untersuchung der chemischen Zusammensetzung
Nr. 102 • 3. Juli 2020
Die chemische Zusammensetzung von organischen und anorganischen Materialien mit höchster Empfindlichkeit und Genauigkeit zu untersuchen und in 2D sowie 3D abzubilden – dies ist den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern am Zentrum für Materialforschung der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) nun möglich: Sie haben ein neues Massenspektrometer in Betrieb genommen. Das rund 2,1 Millionen Euro teure Forschungsgroßgerät zur bildgebenden Massenspektrometrie, ein sogenanntes Hybrid-Sekundärionenmassenspektrometer (Hybrid-SIMS), ermöglicht den Gießener Materialwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern Forschung auf höchstem internationalen Niveau. Es ist das erste in Deutschland aufgestellte Gerät seiner Art – weltweit wurden bisher erst fünf Exemplare ausgeliefert.
Mit Hilfe des Hybrid-SIMS können nicht nur die obersten Atom- und Moleküllagen in anorganischen Festkörpern mit einer lateralen Auflösung von bis zu 40 Nanometern untersucht, sondern auch organische Moleküle mit einer sehr großen Genauigkeit identifiziert werden. Neben der Analyse anorganischer Proben aus der Materialforschung ist nun auch die Untersuchung von organischen Leuchtdioden (OLEDs), die in modernen Displays zum Einsatz kommen, oder Proben aus den Lebenswissenschaften mit höchster Präzision möglich.
„Dieses Hybrid-SIMS wird die Forschungsaktivitäten am Zentrum für Materialforschung in vielen Gebieten – von der Batterieforschung bis hin zu angewandten lebenswissenschaftlichen Fragestellungen – bereichern“, so Prof. Dr. Jürgen Janek, in dessen Arbeitsgruppe am Physikalisch-Chemischen Institut der JLU das Gerät betrieben wird. „Betrachtet man auch die langjährigen Aktivitäten und die Ausstattung der Gießener analytischen Chemie (Prof. Dr. Bernhard Spengler), ist die JLU sicher einer der international führenden Standorte in der bildgebenden Massenspektrometrie.“
Das von der Firma IONTOF GmbH in Münster gebaute Hybrid-SIMS ist mit zwei unterschiedlichen Massenanalysatoren ausgestattet: Neben dem normalerweise verbauten Flugzeitanalysator kommt auch ein sogenannter Orbitrap-Analysator mit höchster Massenauflösung zum Einsatz. Die Funktionsweise erinnert ein wenig an „Krieg der Sterne“: Mit einer hochenergetischen Ionenkanone, deren Strahldurchmesser tausendmal kleiner ist als eine Stecknadelspitze, wird auf die zu analysierende Probe geschossen. Diese wird in einem kleinen Bereich oberflächlich abgetragen. Die dabei wegfliegenden sogenannten Sekundärionen werden mit Hilfe eines elektrischen Feldes eingesammelt und in einem Analysator nach ihrer Masse aufgetrennt und ortsaufgelöst detektiert, so dass ein Bild erzeugt werden kann.
Bei der anschließenden „Detektivarbeit“ ordnen die Forscherinnen und Forscher die Signale der entstandenen Fragmente den zugrundeliegenden Materialien und Molekülen zu – unterstützt von einem leistungsfähigen Computer und einer Software mit hinterlegter Massendatenbank. Die hohe Massenauflösung des neuen Hybrid-SIMS erleichtert die Identifikation und Zuordnung der Massensignale, denn gerade organische Moleküle als Kombination der Elemente Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff und Stickstoff haben oft sehr ähnliche Massen. Eine eindeutige Zuordnung solch komplexer Verbindungen ist auch durch eine zusätzliche Spaltung des Moleküls in weitere Fragmente möglich.
Viele Proben, insbesondere aus dem lebenswissenschaftlichen Bereich, sind nicht fest und zudem wasserhaltig. Daher bietet das Gerät die Möglichkeit, Proben mit Hilfe einer Stickstoffkühlung auf minus 160 Grad Celsius abzukühlen und sie im gefrorenen (nativen) Zustand in das Vakuum der Anlage einzubringen und zu untersuchen. Bei diesen Temperaturen lässt sich selbst Wassereis in dem Gerät analysieren.
Die Neuinvestition, die jeweils zur Hälfte aus Mitteln des Bundes und der JLU finanziert wird und der ein erfolgreicher Antrag bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) vorausgegangen ist, belegt eindrucksvoll die hohe Kompetenz des Gießener Teams auf dem Gebiet der Massenspektrometrie sowohl von Funktionsmaterialien als auch von biologischen Proben. So ist es beispielsweise in einer jüngst veröffentlichten Studie gelungen, organische Wachstumsfaktoren im Knochen eindeutig nachzuweisen. Dies geschah im Rahmen von Demonstrationsmessungen beim Gerätehersteller in Münster, die mit zur Kaufentscheidung beigetragen haben.
Die bereits geplante Einweihungsfeier im Rahmen eines wissenschaftlichen Kolloquiums wird wegen der Einschränkungen durch die Corona-Pandemie verschoben.
- Kontakt
Dr. Marcus Rohnke
Physikalisch-Chemisches Institut
Justus-Liebig-Universität Gießen
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