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Gießener Anzeiger vom 1.12.2006

"Wer weiß, was hier drauf steht, der ist ein Genie"

Prof. Albrecht Beutelspacher demonstriert Verschlüsselungsmethoden von Nachrichten

GIESSEN (fm). "Wer weiß, was hier drauf steht, ist ein Genie", rief Prof. Albrecht Beutelspacher rund 150 Kindern zu, die zur zweiten Vorlesung von Justus´ Kinderuni im laufenden Wintersemester ins Philosophikum II gekommen waren. Vertikal aneinandergereiht, ergaben die vorher auf eine Papierspirale geschriebenen Buchstaben absolut keinen Sinn. Erst als der kurzfristig für Prof. Erika Schuchardt eingesprungene Leiter des Gießener Mathematikums mit Hilfe von Merle und Samuel (beide 8 Jahre alt) den schmalen Papierstreifen um eine große Papprolle gewickelt hatte, ließen sich die Buchstaben in horizontaler Reihenfolge zu einem Text zusammensetzen: "Es war einmal mitten im Winter, und die Schneeflocken fielen wie Federn vom Himmel herab ..." Auf eindrucksvolle Weise hatte Beutelspacher den Anfang von "Schneewittchen" zuerst verschlüsselt und dann wieder dechiffriert. Von der ersten Minute an waren die kleinen Nachwuchs-Studenten von Beutelspachers Beispielen für unterschiedliche Verschlüsselungsmethoden von Nachrichten fasziniert. Denn der von "Mr. Mathematikum" benutzte Begrüßungssatz begann mit "Gu-bu-te-ben Ta-bag ..." und klang nach unverständlichem Kauderwelsch. Nur ein einziger Junge aus dem Publikum wusste auf Anhieb, dass der Professor die "B-Sprache" benutzte, bei der hinter jedem Vokal der Buchstabe B eingefügt wird, ehe der Vokal ein zweites Mal benutzt wird. Kaum hatten die Kinder den Trick durchschaut, benutzten sie selbst kleine Wörter wie "Haballo" für "Hallo".

Dass die Zahlenreihe 24 45 43 44 45 43 für "Justus" steht und dass sich der Name "Melanie" auch in 32 15 31 11 33 24 15 verschlüsseln lässt, konnten die an Geheimcodes interessierten Kinder anhand des quadratisch an die Wand projizierten Alphabets mit umgebenden Ziffernreihen von 1 bis 5 selbst ausprobieren. Kaum hatte Beutelspacher gesagt, dass sich "vor vielen hundert Jahren" Gefängnisinsassen mit Klopfzeichen an die Wand verständigt hätten, da probierten die kleinen Zuhörer selbst aus, wie sie sich mit rhythmisch geklatschten Buchstaben verständlich machen konnten.

Mit der Glücksradähnlichen "Cäsar-Scheibe" demonstrierte Beutelspacher eine von dem römischen Imperator (100 bis 44 vor Christus) erfundene Verschlüsselungstechnik für geheime Botschaften, die auch heute noch benutzt wird. Je nach Einstellung der äußeren und inneren Alphabet-Scheibe zueinander werden Wörter wie "Judith" zu ZKTYJX, "Mama" zu FTFT oder "Otto" zu XKKX. "Auf jeden Fall müssen Schreiber und Empfänger wissen, welche Einstellung auf dem Rad verwendet wird", schärfte Gießens bekanntester Mathematiker den Kleinen ein. Auf modernen "Cäsar"-Geräten können die Sender- und Empfängereinstellung mit einem Zählwerk gleichgeschaltet werden.

Am Ende einer überaus kurzweiligen Kinderuni-Vorlesung mit vielen Wortmeldungen und sichtlichem Vergnügen des akademischen Jung-Nachwuchses verriet Beutelspacher, was der Titel seiner Veranstaltung (SEA DAEOOP ZEAOAN OWPV?) bedeutete. In entschlüsselter Form heißt er "Verstehen Sie diesen Satz?" Und mit dem millimetergenauen Aufeinanderlegen von zwei aus weißen und schwarzen Punkten bestehenden Seiten beendete er seine Entschlüsselungs-Demonstrationen: Der Schriftzug "Viel Spaß noch!" stand plötzlich an der Projektionswand. Aber nur für wenige Sekunden...