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Iwan Lappo-Danilewski

 


   

Foto: Aaron GmbH

 

 

 

 


1. Herr Lappo-Danilewski, Sie haben an der JLU sowohl Physik, als auch Mathematik studiert. Zusätzlich belegten Sie zahlreiche Kurse in Philosophie und auch Musikwissenschaften.

Wie kam es dazu, dass Sie sich für diese Fächerwahl entschieden haben?


Als Jugendlichen faszinierten mich zwei Dinge besonders: einerseits, „was die Welt im Innersten zusammenhält“, und andererseits, wie man diese wissenschaftlichen Erkenntnisse in innovative Produkte umsetzt, die anderen Menschen praktisch etwas nützen. Durch die Vortragsreihe „Physik im Blick“ für Schüler erkannte ich, dass das Physikstudium in Gießen beides bietet. Mathematik und Philosophie belegte ich später zusätzlich, weil man bei physikalischer Grundlagenforschung häufig damit in Berührung kommt und ich mir so tiefere Erkenntnisse versprach. Der Einstieg in die Musikwissenschaften ergab sich hingegen durch die persönliche Freundschaft zu zwei Musikstudierenden, mit denen ich als Pianist eine Jazz-Band gründete.


2.Welche besonderen Erinnerungen/Erfahrungen verbinden Sie mit Ihrer Zeit an der JLU?


Allem voran die Zeit meines hochschulpolitischen Engagements: Neben einigen spannenden Debatten im Senat und Studierendenparlament hatte ich als AStA-Kulturreferent auch das Ziel, mit „Sturm & Klang“ erstmalig ein Studierenden-Festival auf dem Campus zu veranstalten. Was zunächst aufgrund geringen zeitlichen Vorlaufs und mangelnder Erfahrung fast unmöglich wirkte, wurde mit Acts wie Olli Schulz & OK Kid, einem engagierten Festivalteam und über 5000 Besuchern zu einem echten Erfolg. Prägend war auch das Erasmus-Semester in Bordeaux, das zwar nicht in Gießen stattfand, aber durch die Sprachkurse der JLU und das organisatorische Engagement des zuständigen Erasmus Koordinators, Prof. Alfred Müller, überhaupt erst möglich wurde.


3. Seit 2015 sind Sie Mitgründer und Geschäftsführer der Aaron GmbH. Welche persönlichen Herausforderungen mussten Sie auf Ihrem Weg in die Selbstständigkeit überwinden? Wie verlief die Phase der Gründung?


Die erste Herausforderung war, über meinen eigenen Schatten zu springen. Auch wenn mir eine eigene Gründung sogar schon vor dem Studium vorschwebte, sammelte ich nach dem Abschluss zunächst 3 Jahre bei einer IT-Unternehmensberatung weitere Erfahrung und Startkapital. Als der Entschluss, mich selbstständig zu machen, dann endlich gefasst war, lernte ich meine späteren Mitgründer über einen gemeinsamen Freund & Kollegen kennen – und es wurde klar, dass meine Firma auf jeden Fall in Berlin gegründet werden würde. So zog ich ohne Gehalt in eine neue Stadt – und meine Frau blieb zunächst in Gießen. Ich musste also nicht nur schnell erste Kunden und Investoren von unserer Idee - sondern auch meine Frau von Berlin überzeugen. Während der Gründungsphase verbrachte ich dann mehrere Monate auf der Couch bei Freunden, die ich größtenteils noch aus dem Studium in Gießen kannte, bis mit dem Erhalt des Exist-Gründer-Stipendiums eine erste finanzielle Basis gelegt werden konnte. Diese herausfordernde Phase hatte aber auch ihre positiven Seiten, gemäß dem Motto „Not macht erfinderisch“ probierten meine Mitgründer und ich sehr viele - teils auch unkonventionelle - Ansätze aus, lernten unglaublich viel und wuchsen als Team zusammen.


4. Welche Qualifikationen und Fähigkeiten sind für Ihre aktuelle Position als CTO der Aaron GmbH besonders hilfreich?


Ein Schwerpunkt ist natürlich die Software-Entwicklung: Datenanalyse, mathematische Modellierung, Programmieren, technische Konzeption, Systemadministration aber auch Anforderungsanalyse, Qualitätssicherung und Projektmanagement. Darüber hinaus sind als Geschäftsführer eines Startups allgemeine Problemlösungsfähigkeiten, hohe Lernbereitschaft für „fachfremde Themen“ und die Fähigkeit, Entscheidungen unter hoher Unsicherheit zu treffen, wichtig. Mit dem Wachstum kam schnell auch der Bereich der Personalleitung und -entwicklung hinzu.


5. Inwieweit konnte Sie Ihr Studium der Physik und Mathematik auf diese Position vorbereiten?


Da sich Aaron.ai auf künstliche Intelligenz im Bereich gesprochener Sprache fokussiert, gibt es viele Schnittmengen: Künstliche Intelligenz basiert oft auf mathematischen Methoden, die versuchen neue Ereignisse anhand von früheren Datenpunkten richtig einzuordnen. In beiden meinen Abschlussarbeiten programmierte ich physikalische Simulationen, die einen ähnlichen Zweck verfolgten. In einer von beiden beschäftigte ich mich sogar explizit mit der Akustik von Luftsäuleninstrumenten – wozu auch die menschliche Stimme gehört. Darüber hinaus ist das Studium der theoretischen Physik ein intensives Training für allgemeine Problemlösungsfähigkeiten und „first principle thinking“, was bei der Suche nach innovativen Lösungen ungemein hilft.


6. Ihr Produkt "Aaron.ai – Smarter Telefonassistent" erleichtert seit 2018 den Arbeitsalltag in vielen Arztpraxen. Auch in der Krisenbewältigung der Corona-Pandemie leistet der Telefonassistent einen großen Beitrag. Was macht „Aaron.ai“ so innovativ?


Unser Produkt ist der erste intelligente Telefonassistent für Arztpraxen und wurde dafür von der kassenärztlichen Bundesvereinigung als Mitglied des Programms „Zukunftspraxis“ ausgezeichnet. Er geht ans Telefon, wenn das Praxisteam nicht verfügbar ist. Anders als bisherige Anrufbeantworter oder Tipp-Menüs ermöglicht er dank künstlicher Intelligenz, einen natürlichen Dialog zu führen - zum Beispiel, um einen Termin direkt zu vereinbaren. So müssen Patienten nicht endlos in Warteschleifen hängen und das Praxisteam wird entlastet. Das ist jetzt besonders wichtig, wenn die Covid-Booster-Impfung in den Hausarztpraxen zu Anrufspitzen führt. Aber auch in Gesundheitsämtern helfen wir bei der Pandemie-Bekämpfung, indem wir einfache Anfragen automatisch beantworten und komplexe richtig zuteilen. Wir arbeiten kontinuierlich und mit Unterstützung von Forschungseinrichtungen wie der HU Berlin und der Charité daran, modernste KI-Technologie und die Stärken des Praxisteams so zu kombinieren, dass eine immer reibungslosere Patientenerfahrung möglich wird.


7. Welchen Rat können Sie unseren aktuellen Studierenden, die kurz vor dem Berufseinstieg stehen, mit auf den Weg geben?


Während des Studiums sammelt man neben Noten & „hartem“ Wissen auch sehr viele Erfahrungen und Eindrücke aus anderen Bereichen – ob im Austausch mit anderen Kommilitonen, bei Nebenjobs oder bei Hobbies & sozialem Engagement. Manchmal fügen sich diese verstreuten Erfahrungspunkte erst nach einigen weiteren Stationen zu einem stimmigen Erzählstrang zusammen, der einem berufliche Orientierung und einen Wachstumspfad bietet. Daher sollte man sich auch nicht unter Druck setzen, dass man gleich die „perfekte“ Stelle findet oder, dass die erste Stelle dann auch im Alltag 100% zu einem passt. Vielmehr sollte man die Neugier aus dem Studium auch ins Berufsleben mitnehmen und sich regelmäßig fragen: was habe ich hier schon Spannendes gelernt und was und wie kann ich jetzt am besten hier lernen. Denn im besten Fall hört das Lernen nie auf.

 

 

Herzlichen Dank für Ihre Unterstützung!

 

(Das Interview wurde im Dezember 2021 geführt)