Bericht zur Veranstaltung „Von und mit afrodiasporischen Feministinnen lernen - Neuere Diskussionen zu Schwarzen und intersektionalen Feminismen im Kontext von Brasilien und darüber hinaus“
Bericht zur Veranstaltung „Von und mit afrodiasporischen Feministinnen lernen - Neuere Diskussionen zu Schwarzen und intersektionalen Feminismen im Kontext von Brasilien und darüber hinaus“
Warum Schwarze Diskursräume? Diese und weitere Fragen standen im Zentrum der Veranstaltung „Von und mit afrodiasporischen Feministinnen lernen“, welche am 1. Dezember 2023 am Institut für Politikwissenschaft der JLU stattfand. Die Veranstaltung wurde von Dr. Christine Löw, Vertretungsprofessorin für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Gender Studies an der JLU organisiert. Eingeladen als Referentinnen waren Ana Graça Correia Wittkowski und Betânia Ramos Schröder. In zwei Vorträgen lieferten sie Einblicke in “Neuere Diskussionen zu schwarzen und intersektionalen Diskussionen im Kontext von Brasilien und darüber hinaus”. Begleitet wurden die Vorträge von einem Workshop, in dem Teilnehmende gemeinsam die zuvor dargestellten Inhalte diskutierten.
Ana Graça Correia Wittkowski führte die Zuhörenden in das Thema ein. Sie schilderte mit Hilfe zahlreicher Beispiele, wie Schwarze und afrodiasporische Wissensformen und -bestände in westlich-wissenschaftlich orientierten Theorien, Erkenntnissen und Diskursen unsichtbar gemacht wurden und werden. Diese Unsichtbarmachung beruhe auf sozialen, institutionellen und diskursiven Strukturen aus der Zeit der Sklaverei. Die Abschaffung der Sklaverei in Brasilien sei ein schrittweiser Prozess gewesen, der paradoxerweise auf rassistischen Prinzipien beruhte. Ab Ende des 19. Jahrhunderts habe die brasilianische Regierung auf eine Einwanderung aus Europa gesetzt. Durch dieses Projekt der „Weißwerdung“ förderte die Regierung den Zuzug „gewollter Migrant*innen“ aus westlichen Ländern und schuf in Sao Paulo und Rio de Janeiro marktwirtschaftliche Tore zur Welt, in denen der Handel mit Kaffee und Zucker florierte. Währenddessen blieb der Nordosten Brasiliens, in dem bis heute große Teilen der afrodiasporischen Community leben, vom wirtschaftlichen Fortschritt ausgeschlossen. Erst 1888 schaffte Brasilien, als letzte Nation der westlichen Hemisphäre, die Sklaverei ab. Die herausragende Bedeutung indigener und afrobrasilianischer Schwarzer Frauen für die Entstehung einer nationalen Kultur wurde dabei unterschlagen. Ana Graça Correia Wittkowski machte in ihrem Vortrag jedoch auch auf die Wurzeln des Schwarzen Widerstandes und insbesondere Schwarzer Frauen aufmerksam, die ebenfalls bis in die Zeit von Versklavung zurückreichen. So organisierten sich entflohene Sklav*innen in „Quilombos“, selbstverwalteten Siedlungen zum gemeinsamen Arbeiten und Leben, deren Territorien bis heute in ganz Brasilien fortbestehen. Auch die Casa de Mãe Nassô in Salvador de Bahia, ein Kultur- und Begegnungszentrum afrobrasilianischer/Schwarzer Frauen in Brasilien befindet sich auf einem ehemaligen quilombo, das von drei versklavten Frauen gegründet wurde, die sich Freiheit erkämpft hatten. Schon 1978 hatte Lélia Goncalez die Vereinte Schwarze Bewegung (Movimento Negro Unificado) mitgegründet und auf die Verbindungen von Rassismus und Sexismus in Brasilien aufmerksam gemacht. 1988 organiserte Sueli Carneiro, eine der bekanntesten Schwarzen Feminist*innen, das erste nationale Treffen Schwarzer Frauen Brasiliens und etablierte das unabhängige Institut für Schwarze Frauen Geledés (Instituto da Mulher Negra).
Betânia Ramos Schröder unternahm in ihrem Vortrag eine intersektionale Perspektivierung der Schwarzen und afrodiasporischen Widerstandsbewegung. Eine bedeutende Organisation, so Ramos Schröder, ist dabei das Movimento Negro Unificado, das am 7. Juli 1978 in Sao Paulo entstanden ist und sich gegen rassistische Diskriminierung und für eine Entfolklorisierung von Schwarz-Sein, sowie für internationale Unterstützung stark macht. Der politische Widerstand in Brasilien habe seine Wurzeln vor allem in der Arbeiterbewegung und der feministischen Bewegung. Letztere setzte in den 1970er Jahren ein und entwickelte sich seither stetig weiter. Heutige feministische Strömungen würden vor allem Aspekte der Intersektionalität und des Panafrikanismus, sowie afro-brasilianische Traditionen (z.B. die ubuntu-Philosophie) und den fortgesetzten Widerstand gegen die rassistische „racial democracy“ mit Unterdrückung, Ausbeutung, sexualisierter Gewalt gegen v.a. Schwarzer Frauen betonen.
Die inhaltlich dichten Vorträge lieferten reichlich Diskussionsstoff für den anschließenden Workshop, in dem die interessierten Teilnehmenden miteinander ins Gespräch kamen. Hier wurden u.a. Bezüge zu deutschen Debatten um das marginalisierte Wissen Schwarzer Frauen, ihre ausgeblendeten Lebenswirklichkeiten zu Verknüpfungen von Rassismus, Sexismus und Klasse im Arbeitsmarkt, der Universität, den Medien und Kämpfen für intersektionale Gerechtigkeit sowie transnationale Allianzbildung angesprochen. Überlegt wurde auch, wie Erkenntnisse afro-brasilianisch feministischer Ansätze und ihre wichtige politischen Interventionen in Diskussionen um ‚andere‘ Frauen, Anti-Rassismus, extrem rechte Positionen, Demokratisierung an Hochschulen verstetigt werden können.
Unterstützt wurde die Veranstaltung von der Sektion „Medien und Gender“ des ZMI sowie von der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten der JLU. Die Vorträge und der Workshop sind Teil des von Christine Löw im Wintersemester 23/24 durchgeführten Seminars „Schwarze und intersektionale Feminismen: Aktuelle Debatten“.
(Bericht Tillmann Schorstein & Christine Löw)