Ausführliche Projektbeschreibung
Das Projekt untersucht den Erwerb und die Möglichkeiten zur Förderung von Textkompetenzen in der Wissenschaftssprache Deutsch bei Studierenden unterschiedlicher sprachlicher und wissenschaftskultureller Herkunft. Im Mittelpunkt des Forschungsinteresses steht der Erwerb kontroversenorientierter Formen der Textproduktion. Sie haben in der deutschen Universitätstradition mit ihrer starken Forschungsorientierung in Seminar und Seminararbeit eine zentrale Bedeutung für das wissenschaftliche Schreiben. Sie zeigen sich in der Fähigkeit, im Schreiben widerstreitende Positionen darzustellen und zugleich für die eigene Problembearbeitung zu nutzen. Hierfür haben sich historisch Schreib- und Textroutinen herausgebildet, deren Beherrschung grundlegend für eine erfolgreiche Wissenschaftskommunikation ist (Feilke 2012).
Schreibroutinen | Für die Organisation des wissenschaftlichen Schreibprozesses ist ein selegierendes Lesen – das Auffinden und Auswählen relevanter Aussagen der Forschungsliteratur mit Hilfe von Annotationen und Exzerpten – ebenso wichtig wie Verfahren des thematischen Ordnens und des Entwickelns einer eigenen Argumentationslinie.
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Textroutinen | Die Synthese wiederstreitender Positionen wird über Texthandlungen wie das Konturieren einer Fragestellung oder These, das Referieren und Diskutieren von Inhalten anderer Texte oder das eigene Positionieren gegenüber anderen Positionen vollzogen. Diese Handlungen werden an der Textoberfläche über typische Ausdrucksmuster angezeigt: Ziel dieses Beitrags ist…; im Gegensatz zur X-Schule betont Y, dass…; in Bezug auf die Z-These soll gezeigt werden, dass…
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Der Aufbau einer auf den wissenschaftlichen Diskurs bezogenen, eristischen Literalität ist im Erwerb eine kritische Größe. Studierende schreiben in der Regel eng angelehnt an ihre Bezugstexte (replikativ) oder orientiert an abstrakten Pro-Contra-Schemata, wie sie die schulische Erörterung prägen (topisch). Sie kommen aber kaum zu einer eigenständigen Synthese der verschiedenen referierten Forschungspositionen, bei der relevante Aspekte des wissenschaftlichen Gegenstands im Fokus stehen (eristisch).
Die geplanten Untersuchungen zielen auf eine verbesserte Einsicht in die Bedingungen des Aufbaus kontroversenorientierter Schreib- und Textroutinen. Dabei sind zwei Hypothesenzusammenhänge leitend:
- Das Projekt geht von der Annahme aus, dass sprachlich und sozialisatorisch heterogene Erwerbsvoraussetzungen eine unterschiedlich ausgeprägte Routine im Bereich eristischer Literalität zur Folge haben. Überprüft werden soll, ob bei Studierenden, die nach dem Kriterium der Erwerbsnähe zur Zielsprache und Zielvarietät differenziert werden, entsprechend unterschiedliche Grade der Beherrschung von Schreib- und Textroutinen wissenschaftlichen Darstellens nachweisbar sind.
- Neben den in den Erwerbsprozess eingebrachten lernerseitigen Voraussetzungen ist die hochschuldidaktisch-methodische Erwerbskonstellation selbst ein zweiter wesentlicher Erwerbsfaktor. Das Projekt geht dabei aus von der Annahme, dass eine "kontextbezogene geteilte Sprachaufmerksamkeit" für Schreib- und Textroutinen ein hochrelevanter Erwerbsfaktor ist. Die Wirksamkeit entsprechender didaktischer Interventionen soll im Projektverlauf überprüft werden.
Untersucht wird die Textproduktion Studierender aus germanistischen Masterstudiengängen mit Deutsch als Erst- und Zweit- bzw. Drittsprache sowie unterschiedlichen akademischen Vorerfahrungen. Die Untersuchung ist eingebettet in Seminarkontexte, in denen Textproduktionsaufgaben mit Einheiten verbunden werden, die relevante Routinebereiche zum Thema gemeinsamer Sprachreflexion machen (Lehnen 2012). Zur Datenerhebung nutzt sie das Schreibkontroversenlabor SKOLA. Diese in Gießen entwickelte webbasierte Lern- und Schreibforschungsumgebung stützt eine aufgabenorientierte Textproduktion (Lesen und Annotieren, Ordnen von Argumenten, Schreiben, Überarbeiten) und ermöglicht die integrierte Erfassung von relevanten Schreibprozess- und Produktdaten (Steinseifer 2012).
Ziel und erwartetes Ergebnis des Projekts ist die Ermittlung der für den Erwerb relevanten Einflussfaktoren sowie die Entwicklung und Erprobung aufgabenbezogener Konzepte für die Lehre im Bereich des Deutschen als Wissenschaftssprache.