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Schaufensterausstellung 'The Temple of Science' & Filmvorführung 'Last Things' vom 4. bis 10. November 2024

Vom 4. bis 10. November 2024 wurde die Schaufensterausstellung The Temple of Science der Landschaftsarchitektin und Forscherin Aisling O’Carroll (Planetary Times Winter Fellow im Planetary Scholars & Artists in Residence Programm) in der Kunsthalle Giessen präsentiert. Als dritte Zusammenarbeit des Panels an Giessens zentralem Ort für zeitgenössische Kunst setzte die Ausstellung die INSIDEOUT-Reihe der Kunsthalle fort, indem O’Carrolls Installation im Schaufenster der Kunsthalle für alle Passanten sichtbar gemacht wurde.

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The Temple of Science - Schaufensterausstellung in der Kunsthalle Gießen © Moritz Bernoully
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Archivische Anmerkungen, Aisling O'Carroll (2024), zu Studie für Hôtel des Neuchâtelois, südliche Seite, J. Bourckhardt (1841), mit freundlicher Genehmigung des Schweizerischen Alpinen Museums © Moritz Bernoully

O’Carrolls umfangreiche Archivforschung und Feldarbeit zu der miteinander verflochtenen geologischen, glaziologischen und menschlichen Geschichte rund um den Unteraargletscher in den Berner Alpen brachte die Installation als alternativen "Tempel der Wissenschaft" zum Leben: eine verkleinerte Darstellung des Hôtel des Neuchâtelois – einer improvisierten Berghütte, die von einer Gruppe wegbereitender Glaziolog:innen während ihrer Sommerexpeditionen in den Jahren 1840 und 1841 bewohnt wurde. Die Hütte wurde unter einem großen Findling aus Glimmerschiefer auf der Mittelmoräne des Unteraargletschers errichtet. Die Berghütte ging verloren, als der Felsen im Winter 1842 zerbrach. Mit der Zeit verschmolzen die geologischen, glaziologischen und menschlichen Zeitdimensionen im Tal. Spätere Narrative der westlichen Gletscherforschung sowie alpine Erzählungen romantisierten das Hôtel als den "Tempel der Wissenschaft" als Hommage an die Autorität und Kühnheit der Expeditionsteilnehmenden.

Im Maßstab 1:10 umfasst die Installation drei rekonstruierte Teile der Hütte, basierend auf einem digitalen Modell, das O’Carroll durch das Scannen und Geolokalisieren ihrer früheren Form und Position mithilfe von Archivbildern und Feldarbeit vor Ort erstellt hat. Um diese Teile in felsähnliche Formen zu gießen, verwendete O’Carroll die traditionelle Putztechnik der Scagliola. Die resultierende Skulptur weist eine verblüffende Ähnlichkeit mit dem ursprünglichen Glimmerschieferblock auf! Um die ursprüngliche Trockenmauer zu imitieren, wurden die drei Gussstücke zu einem verspiegelten Gehäuse zusammengefügt, das auf Metallständern platziert wurde.

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Die Installation im Maßstab 1:10 bestand aus drei rekonstruierten Teilen der Hütte, die zu einer spiegelnden Umrahmung zusammengefügt und auf Metallständern platziert wurden © Moritz Bernoully
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Innenraum der Kunsthalle mit Archiven von Karten, Bildern, Steinen © Moritz Bernoully

O’Carrolls alternativer Tempel der Wissenschaft bietet seinen Betrachtern unterschiedliche Perspektiven – sowohl menschliche als auch mehr-als-menschliche – auf langfristige planetare Veränderungen. Aufgrund der Gletscherbewegungen stellt das ursprüngliche Hôtel heute einen verlorenen architektonischen Raum dar, dessen Überreste über das Grimsel-Tal, den Fluss Aare und schließlich bis zum Rhein verstreut sind. Um es vor dem Verlust in der planetarischen Zeit zu bewahren, übersetzt diese Rekonstruktion die geologischen Geschichten, die einst die planetare und menschliche Chronologie auf wunderbare Weise zusammenführten, und öffnet unseren Horizont für inklusivere Beziehungen zur Erde.

Es ist für O’Carroll zentral anzuerkennen, dass ihre Rekonstruktion keine genaue Nachbildung des Hôtel darstellt, die definitive oder absolute Wahrheiten über dessen Geschichte liefert, sondern vielmehr ein Zusammenspiel von Realität, Spekulation, Interpretation und Originalität der Künstlerin ist. So entschied sie sich beispielsweise bewusst, die weiße Flagge, die von den ursprünglichen Expeditionsteilnehmenden auf dem Hôtel platziert wurde, aus der Rekonstruktion zu entfernen. Anstatt den von Menschen geschaffenen und bewohnten architektonischen Raum auf eine Weise zu rekonstruieren, die die imperialen und kolonialen Vorstellungen von erzwungener Besitzbarkeit betont, die in ihn eingeflossen sind, re-imaginiert O’Carroll einen inklusiveren "Tempel" der Wissenschaft. Ihre Betonung auf der Wirkkraft der verschiedenen Gesteinsarten, die dem Hôtel seine Form verliehen, und auf die gewaltsamen geologischen und glaziologischen Ereignisse, die zu seiner Zerstörung führten (mehr-als-menschliche Agency), bezeugt dies.

Die Eröffnung der Ausstellung stellte O’Carrolls kreativen Prozess vor, indem die Innenräume der Kunsthalle Gießen in einen Raum verwandelt wurden, in dem Besucher:innen ihre einjährige Archivaliensammlung von Karten, Bildern und Gesteinen nachvollziehen und mit der Künstlerin in Austausch treten konnten. Nadia Ismail (Direktorin der Kunsthalle) und Liza Bauer (Stellv. Wissenschaftliche Leitung des Panels) begrüßten das Publikum und diskutierten die Zusammenarbeit zwischen Kunst und Wissenschaft und wie ästhetische Praktiken unsere Klimazukunft gestalten und nachhaltiges Denken fördern können. Die Kuratorin der Ausstellung, Theresa Deichert, erörterte die zentralen Themen von O’Carrolls Arbeit: die Schnittstelle zwischen wissenschaftlichen Methoden und künstlerischen Praktiken sowie die Nutzung von Umweltrekonstruktionen als Entwurfsmethode.

Die Ausstellung präsentierte auch das Projekt Archiving Giessen von Charlotte Wrigley (Planetary Times Fellow), in dem Wrigley persönliche Erzählungen der Menschen in Gießen sammelt, die in einer Zeitkapsel in Svalbard, Norwegen, für die Ewigkeit bewahrt werden sollen. Um einen Beitrag zum Archiv zu leisten, besuchen Sie bitte ihre Website.

Am folgenden Tag veranstaltete das Kinocenter Giessen eine Vorführung von ‚Last Things‘ (2023) von Deborah Stratman, die Evolution und Aussterben aus der Perspektive von Gesteinen und Mineralien erforscht – solche, die der Menschheit vorausgehen und uns überdauern werden. Nach der Vorführung hielt O'Carroll einen Vortrag über Umweltrekonstruktion als Gestaltungspraxis, der ihre Arbeit mit Stratmans Film verknüpfte. Eine von Planetary Times Fellow Lukáš Likavčan und Liza Bauer moderierte Diskussion folgte, die sich mit menschlichen und nicht-menschlichen Beziehungen sowie der Rolle von Fiktion und Erzählungen bei der Auseinandersetzung mit nicht-anthropozentrischen Narrativen von Evolution und Lebensräumen beschäftigte.

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O'Carroll hält den Künstlervortrag bei der Filmvorführung von Last Things im Kinocenter Gießen© Moritz Bernoully
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Ausstellungskuratorin Theresa Deichert (links) und Stellv. Wissenschaftliche Leitung des Panels Liza Bauer (rechts) während der Diskussion des Films © Moritz Bernoully

Vor der Veranstaltung interviewte Björn Gauges O'Carroll, Bauer und Ismail für den Gießener Anzeiger, um Einblicke in den kreativen Prozess der Künstlerin und die Gründe für die Präsentation ihrer Arbeit zu erhalten. Karola Schepp berichtete für die Gießener Allgemeine über die Veranstaltung, und im Gießener Anzeiger finden Sie eine detaillierte Darstellung des Wintersemesterprogramms, das vom Panel und den Fellows organisiert wurde.