Stolpersteine vor dem Medizinischen Lehrzentrum
In Gedenken an die während der Zeit des Nationalsozialismus vertriebenen, denunzierten, in den Selbstmord getriebenen oder ermordeten Menschen wurde 1992 von dem Künstler Gunter Demnig das Projekt der Stolpersteinverlegung ins Leben gerufen.
Stolpersteine sind kleine quadratische Messingtafeln, die am Arbeitsort oder am letzten frei gewählten Wohnhaus der Opfer in den Bürgersteig bzw. Gehweg eingebettet werden. Inzwischen wurden Stolpersteine in mehr als 1265 deutschen Städten und Gemeinden und in 31 Ländern Europas verlegt. Auch an der Medizinischen Fakultät der Gießener Universität und am Klinikum Gießen wurde während der Zeit des NS-Regimes Menschen Leid angetan. Die Verlegung der Stolpersteine am |
Kurzbiographie Prof. Dr. Franz Soetbeer
(*6. Januar 1870 in Altona, † 27. März 1943 in Gestapo-Haft)
Franz Soetbeer studierte von 1890-1896 Medizin in Jena und Kiel. 1897 promovierte er in Jena und war zwei Jahre lang wissenschaftlicher Assistent am Physiologischen Institut. Er wechselte an die Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg und arbeitete in der Pharmakologie und in der Pädiatrie. 1902 habilitierte er sich für Innere Medizin. Von 1903 bis 1905 war er als Oberarzt an der Medizinischen Klinik der Universität Greifswald tätig und kam dann als Privatdozent an die Medizinische Klinik der Universität Gießen.
Zum 01.03.1908 wurde er zum außerordentlichen Professor ernannt. Neben seiner universitären Beschäftigung war Soetbeer auch in einer eigenen Praxis in Gießen, Frankfurter Straße, tätig. Während des 1. Weltkrieges war Soetbeer Sanitätsoffizier, 1916 wurde ihm das Militär-Sanitätskreuz verliehen.
Mit Beginn des nationalsozialistischen Regimes wurde Soetbeer, dessen Mutter Jüdin war und er selbst somit als Jude (Halbjude) galt, mit Verweis auf §6 des „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ am 20. Juli 1933 aus seiner universitären Stellung entlassen.
Nach seiner Entlassung aus dem öffentlichen Dienst war Soetbeer ab Sommer 1933 zeitweilig am Krankenhaus der „Katholischen Schwestern“ (heute St. Josefs-Krankenhaus) tätig. 1936 wurde ihm die Bezeichnung „außerordentlicher Professor“ aberkannt. Die parallel von ihm weiter geführte eigene Praxis litt zunehmend unter Boykottmaßnahmen durch das NS-Regime. Anfang 1938 war Soetbeer gezwungen, sein Haus in der Frankfurter Straße 49 an das Land Hessen unter Wert zu verkaufen. Nach der Enteignung wohnte Franz Soetbeer in der Alicenstraße 6, und führte dort auch seine Praxis. 1943 wurde er denunziert und verhaftet und am gleichen Tag in das Gestapo-Gefängnis Gießen deportiert. Sein Tod am 27. März 1943 unter unklaren Umständen wurde als „Selbstmord“ bekannt gegeben.
Kurzbiographie Valentina Kusnezowa
(*14. Januar 1926 in Drogotin, Kreis Krasnopolskiy [Belarus], † 16. Juni 1944, Hadamar)
Valentina Kusnezowa war eine Zwangsarbeiterin in Pohlheim-Holzheim bei Gießen bei Landwirt Wilhelm Konrad Grieb, vermutlich ab September 1943. Über die Biografie vor der Zwangsarbeit ist nichts bekannt. Die bei der stationären Aufnahme begleitende Bäuerin berichtet, dass Valentina Kusnezowa bei der vorherigen Arbeitsstelle im Kontext des Zwangsarbeiter-Einsatzes („Küchentätigkeit“) geprügelt worden sei. Sie habe seit Beginn der Tätigkeit auf dem Bauernhof nicht gesprochen, nicht arbeiten und essen wollen und stark an Gewicht verloren.
Die stationäre Aufnahme in der Psychiatrischen und Nervenklinik der Universität Gießen erfolgte am 10. Januar 1944 zur diagnostischen Abklärung der Arbeitseinsatzfähigkeit bei Verdacht auf eine psychiatrische Erkrankung. Nach einer körperlichen Untersuchung sowie diversen Laboruntersuchungen wurde festgestellt, dass Valentina Kusnezowa körperlich gesund sei. Es wurde jedoch festgehalten, dass wegen des Verdachts auf eine gravierende psychische Erkrankung „mit Arbeitseinsatzfähigkeit […] in absehbarer Zeit nicht zu rechnen“ sei, es wurde ein „Rücktransport in den Osten“ angeraten.
Zur Entlastung der Universitätsklinik wurde Valentina Kusnezowa am 24. April 1944 zunächst in die Landes-Heil-und Pflegeanstalt Weilmünster und am 13. Juni 1944 in die Landesheilanstalt Hadamar verlegt. In Ihrer Krankenakte finden sich Einträge zu einem angeblich tödlichen Verlauf einer Grippe-Infektion. Am 16. Juni 1944 verstarb sie unter unklaren Umständen. Es ist davon auszugehen, dass ihre Todesursache gefälscht wurde und sie durch eine systematische Krankentötung („Euthanasie“) ums Leben kam.