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Extremwetter: Jede Warnung zählt

forum forschung am 17. Oktober 2024

DIE KLIMAFORSCHERIN DR. ELENA XOPLAKI ETABLIERT GEMEINSAM MIT PARTNERINSTITUTIONEN EIN
FRÜHWARNSYSTEM FÜR NATURKATASTROPHEN IM MITTELMEERRAUM

Texte: Frank Luerwald >> Waldbrände, Dürren, Hitzewellen: Die Mittelmeerregion leidet immer stärker unter den Folgen der Erderwärmung. Selbst die Wintermonate bringen mancherorts kaum  noch Abkühlung: Im spanischen Malaga kletterte das Thermometer im Januar auf knapp 28 Grad; in Valencia oder Murcia war es mit fast 30 Grad noch heißer. Hohe Temperaturen fordern in  Spanien und anderen Mittelmeerländern jedes Jahr mehrere Tausend Menschenleben.

Existenzgefährdend ist auch die Situation in Marokko und Tunesien. Dort herrscht seit sechs Jahren eine beispiellose Trockenheit. Manche Staudämme sind nur noch zu einem Zwanzigstel gefüllt;  die Landwirtschaft verzeichnet massive Ernteausfälle. In einigen Regionen Griechenlands fielen dagegen im September 2023 binnen 18 Stunden mehr als 700 Liter Regen pro Quadratmeter – so  viel wie in Hamburg in einem Jahr. Ganze Landstriche waren teils meterhoch überschwemmt. In diesem Sommer kam es dort hingegen zu verheerenden Waldbränden, die sich bis in die Vororte Athens ausbreiteten.

Dr. Elena Xoplaki macht es traurig, wenn sie Nachrichten wie diese hört. „Wenn sie Griechenland betreffen, schmerzt es mich noch etwas mehr – schließlich bin ich dort geboren und aufgewachsen“,  sagt sie. „Aber eigentlich spielt der Ort keine große Rolle. Was mir wirklich nahegeht, ist, dass wir diese Situation selbst über uns gebracht haben. Und zwar nicht nur, weil wir  Menschen Ursache des Klimawandels sind. Sondern auch, weil wir eigentlich wissen, dass extreme Wetterereignisse durch die globale Erwärmung häufiger und intensiver werden, wir uns aber  dennoch viel zu wenig darauf vorbereiten.“

Die Klimatologin möchte dazu beitragen, dass sich das ändert. Hoffnung setzt sie dabei in ein Projekt mit dem etwas sperrigen Titel MedEWSa (ausgesprochen: Medusa) – das Kürzel steht für  „Mediterranean and Pan-European Forecast and Early Warning System against Natural Hazards“. Rund 30 Partnerinstitutionen arbeiten darin an dem gemeinsamen Ziel, in Europa, Nordafrika und  Äthiopien eine Art Frühwarnsystem für Naturkatastrophen zu etablieren. Die EU hat dafür bis 2026 Fördermittel in Höhe von 5 Millionen Euro zugesagt. Xoplaki ist an der Koordination von MedEWSa beteiligt und leitet die Teilprojekte, die an der JLU angesiedelt sind.

Hotspot des Klimawandels

Der Fokus von MedEWSa liegt vor allem auf dem Mittelmeerraum, der als ein Hotspot des  Klimawandels gilt – und zwar im wahrsten Sinne des Wortes: Die Region erwärmt sich momentan etwa 20 Prozent schneller als die Erde insgesamt. Insbesondere die Wassertemperatur nimmt  rapide zu. Damit steigt unter anderem die Verdunstung – es gelangt also mehr Feuchtigkeit in die Atmosphäre. Dadurch vergrößert sich etwa das Risiko lokaler Unwetter, in denen in kurzer Zeit  extreme Niederschlagsmengen zu Boden prasseln.

Gleichzeitig ändern sich durch die steigenden Temperaturen die langfristigen Niederschlagsmuster: Hochdruck- und Tiefdruckgebiete wechseln sich nicht mehr so regelmäßig ab, sondern bleiben oft lange Zeit stationär über einem Gebiet liegen. Daher kommt es immer häufiger zu langen Dürren mit großer Hitze, die hin und wieder  punktuell von Starkregenfällen unterbrochen werden. Da die gewaltigen Wassermassen von der Erde nicht aufgenommen werden können, sind dann Überschwemmungen und Erdrutsche die Folge,  die – wie Dürren, Hitze und Brände – oft ebenfalls Menschenleben fordern.

„Wir wollen einerseits die Vorhersage solcher Naturkatastrophen verbessern und andererseits dafür sorgen, dass die Warnungen die gefährdeten Gruppen rechtzeitig erreichen“, sagt Xoplaki. „Dabei  geht es uns nicht nur um kurzfristige Prognosen nach dem Motto: Achtung, morgen drohen in diesem Gebiet verheerende Gewitter. Wir wollen auch saisonale Vorhersagen für eine  frühzeitige Risiko-Abschätzung nutzen – etwa, wie sich in den kommenden Monaten die Waldbrandgefahr in einer bestimmten Region entwickeln wird. Dann können die Behörden vor Ort rechtzeitig  Gegenmaßnahmen ergreifen, beispielsweise die Entfernung von Totholz.“

Ziel sei es allerdings nicht, ein komplett neues Frühwarnsystem aufzubauen. Stattdessen will das Projekt eine Ressource nutzen, die bereits vorhanden ist: die Warnsysteme der rund 30  europäischen Wetterdienste, die sich zum Europäischen Meteorologischen Netzwerk EuMetNet zusammengeschlossen haben. „Wir wollen diese Daten effizienter auswerten und so auch weiße  Flecken bei der Vorhersage von Naturkatastrophen füllen“, betont die Wissenschaftlerin. „Außerdem wollen wir neue Angebote für politische Entscheidungsträger, Behörden und Interessengruppen entwickeln.“

KI soll Vorhersagen verbessern helfen

Dazu bauen die beteiligten wissenschaftlichen Arbeitsgruppen auch auf die Fähigkeiten künstlicher Intelligenz. So ist es heute bereits möglich, die Qualität von Vorhersagemodellen mit Hilfe  lernfähiger Algorithmen zu verbessern. Dabei wird die KI sowohl mit Prognosen aus diesen Modellen als auch mit der tatsächlichen Wetterentwicklung gefüttert. Sie lernt daraus, den Output der  Modelle an die Wirklichkeit anzupassen. So werden künftige Prognosen – beispielsweise über die Niederschlagsmuster in einer Region – deutlich zuverlässiger.

„Auf diese Weise lässt sich auch die räumliche Auflösung der Vorhersagen erhöhen“, betont Elena Xoplaki. Ob ein Bach bei Starkregen zu einem tosenden Fluss wird, hängt ja nicht nur von der  Niederschlagsmenge ab, sondern ganz entscheidend auch von sehr lokalen Faktoren: Ob es in der Umgebung Hänge gibt, die das Wasser in den Bach leiten. Wie der Untergrund beschaffen ist – ob  beispielsweise eine Lehmschicht verhindert, dass der Regen versickert. Ob unbebaute Uferflächen als Überschwemmungsgebiete fungieren und so Druck aus dem Kessel nehmen. Vorhersagemodelle können diese Zusammenhänge meist nicht kleinteilig genug berücksichtigen.

Algorithmen aus der künstlichen Intelligenz eignen sich jedoch aus Beobachtungsdaten vergangener Wetterereignisse ein implizites Wissen darüber an. „So ist es möglich, relativ grobe Vorhersagen  in eine deutlich feinere Auflösung zu übersetzen“, erklärt die Wissenschaftlerin. „Auf diese Weise ist es beispielsweise denkbar, raumzeitlich hochaufgelöste Risikokarten zu erstellen: Wo besteht bei dem Starkregen, der sich in den nächsten 48 Stunden abzeichnet, eine besonders hohe Gefahr für Hangrutsche? Wo und wann wird es wahrscheinlich zu Überschwemmungen  kommen, und wie hoch werden diese vermutlich ausfallen?“

Prognosen leicht verständlich aufbereiten

Ziel ist es, Behörden und Hilfsorganisationen frühzeitig leicht verständliche und verlässliche Informationen an die Hand zu geben, damit diese die richtigen Entscheidungen treffen können. Dazu  gehört es auch, die Prognosen so aufzubereiten, dass sie von den Menschen vor Ort leicht verstanden werden. „Entscheiderinnen und Entscheider in Politik oder Katastrophenschutz sprechen eine  ganz andere Sprache als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Wir müssen verstehen, welche Informationen sie genau benötigen, damit sie ihren Job so gut wie möglich erledigen können. Das ist manchmal herausfordernd, aber auch sehr spannend.“ Zu den Projektpartnern zählt daher auch das gemeinsame Klima-Zentrum von Rotem Kreuz und Rotem Halbmond. Beide Hilfsorganisationen sehen sich schon heute bei ihrer praktischen Arbeit zunehmend mit den Auswirkungen der globalen Erwärmung konfrontiert.

Eine zentrale Stellung in MedEWSa nehmen vier sogenannte Zwillingsregionen ein (siehe Kasten). „Wir verstehen darunter Gebiete in unterschiedlichen Ländern, die aber mit ähnlichen Problemen  zu kämpfen haben“, erklärt Elena Xoplaki. Oft haben sie im Laufe der Zeit sehr individuelle Strategien entwickelt, mit denen sie diesen Herausforderungen begegnen, sei es der steigenden  Waldbrandgefahr oder immer häufigeren Überschwemmungen.

„Wir wollen den Austausch von Erfahrungen und Know-How zwischen diesen Paaren stärken“, erklärt Xoplaki. „Und zwar auf Augenhöhe. Oft gibt es das Vorurteil, dass Länder im Süden Europas  oder in Afrika nicht die Ressourcen für Konzepte haben, die bei Naturkatastrophen gut funktionieren. Das ist aber falsch. Nehmen Sie zum Beispiel Waldbrände: In Katalonien im Nordosten  Spaniens hat man damit schon sehr viel länger Erfahrung als etwa in Schweden, seiner Zwillingsregion. Die Spanier haben es in den letzten Jahren geschafft, die Zahl der Brände zu reduzieren, vor  allem durch eine effektivere Bekämpfung. In Schweden hat sie dagegen stark zugenommen. Ziel ist es, dass man dort von den spanischen Konzepten lernen und profitieren kann, zumindest wenn  man sie anpasst. Das ist viel effizienter, als überall das Rad neu zu erfinden.“

LERNEN VOM ZWILLING
Ein wichtiger Ansatz im Forschungsprojekt MedEWSa (www.medewsa.eu) ist die „Verkupplung“ von Regionen, die mit ähnlichen Problemen zu kämpfen haben. Die Gebiete sollen durch den Erfahrungsaustausch voneinander profitieren und so ihre Strategien im Umgang mit  Naturkatastrophen optimieren. Zudem sind sie als Pilotstandorte gedacht, in denen die beteiligten wissenschaftlichen Arbeitsgruppen  verbesserte Vorhersagemodelle entwickeln und erproben werden.
Es gibt vier MedEWSa-„Zwillinge“: Die Attica-Region (Griechenland) kooperiert mit drei Nationalparks in Äthiopien. Beide Gebiete werden häufig von verheerenden Waldbränden und Wetterextremen heimgesucht. Im Nil-Delta Ägyptens und in Venedig geht es dagegen um  Überflutungsereignisse durch Meeres-Hochwasser, die in Venedig auch als „Aqua alta“ bekannt sind. In der Regel sind dafür Stürme  verantwortlich, die das Meerwasser an die Küsten drücken. Durch eine andere Art von Überschwemmungen, sogenannte „Flash Floods“, werden die Regionen Košice in der Slovakei und Tbilisi in Georgien gefährdet. In beiden Gebieten gibt es eine Reihe von Flüssen, deren Pegel bei  Starkregen-Ereignissen rasant ansteigen können. Das vierte Zwillingspaar besteht aus Katalonien im Nordosten Spaniens und Schweden, die  regelmäßig mit größeren Waldbränden zu kämpfen haben.


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