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Collegium Gissenum 2023

Thema

»Frieden und Krieg. Philosophische Perspektiven «

 

Das Programm

Alle Veranstaltungen in: Raum AUB 3 (Alte Universitätsbibliothek), Bismarckstraße 37, 35390 Gießen.

 

Di, 09.05., 18 Uhr

Prof. Dr. Olaf Müller: Pragmatischer Pazifismus

Während sich gesinnungsethische Pazifisten ganz unabhängig von den gewaltsamen Tatsachen dieser Welt stets gegen kriegerische Handlungen aussprechen, und zwar mit geschlossenen Augen, komme, was wolle, sind verantwortungsethische Pazifisten der Ansicht, dass es bei der Entscheidung über Krieg und Frieden auf die Folgen unseres Tuns und Lassens ankommt: Demzufolge wäre ein moralisch verwerflicher Krieg deshalb falsch, weil seine Durchführung weit mehr Unheil und Leid in die Welt bringt als seine Unterlassung. Wer dies Kriterium anwenden möchte, dürfte sich fast immer erkenntnistheoretisch übernehmen; wir verfügen fast nie über hinreichendes Wissen, um verantwortungsethisch zwischen Krieg und Frieden zu entscheiden. Der pragmatische Pazifist sucht einen Mittelweg zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik. Demzufolge orientieren wir uns bereits beim Blick auf die Wirklichkeit (etwa bei der Folgenanalyse) an bestimmten Leitideen, in denen gewisse Werte zum Ausdruck kommen; verantwortungsethische Pazifisten arbeiten mit anderen Leitideen als verantwortungsethische Kriegsbefürworter. Eine der pazifistischen Leitideen ist pessimistisch; sie empfiehlt, stets die Gefahr unkontrollierbarer Eskalationen kriegerischer Handlungen (bis hin zur atomaren Apokalypse) im Blick zu behalten. Eine andere pazifistische Leitidee ist ein Optimismus hinsichtlich der menschlichen Natur: Suche stets nach friedlichen Auswegen aus Gewaltkrisen und halte dabei besonders ausdauernd an der Hypothese fest, dass kein Mensch in sich böse ist und nur mit vorgehaltener Pistole zur Raison gebracht werden kann. Kriegsbefürworter verteilen ihren Optimismus und Pessimismus anders, und zwar auf eine Weise, die wenig attraktiv wirkt.

Di, 23.05., 18 Uhr

Dr. Reza Mosayebi: Kants Kosmopolitismus, Frieden und das Problem von Race

Immanuel Kants Rassismus wird in letzter Zeit von vielen als ein wichtiger Fakt offen angenommen. Doch Kant gilt auch als einer der wichtigsten Theoretiker*innen des Friedens. Wie hängen diese zwei Aspekte zusammen? Zur Verwirklichung des globalen Friedens hält Kant drei Ebenen von Rechtszuständen für nötig: das Recht eines Staates (ius civitatis), das Recht zwischen den Staaten von Völkern (ius gentium) und das kosmopolitische Recht (ius cosmopoliticum). Zudem führt Kant eine weitere innovative Idee ein, welche oft vernachlässigt wird: Wenn sich nur eine dieser Ebenen im Kriegszustand befindet, muss „das Gebäude aller übrigen unvermeidlich untergraben werden und endlich einstürzen“. In dem Vortrag wird zunächst gezeigt werden, dass Kant, wie sonst keine andere* Philosoph*in, eine notwendige Interdependenz dieser drei Rechtszustände vertritt, als wären sie Teile eines "organisierten Wesens". Anschließend werden einige Implikationen dieser These für Kants eigenen Rassismus, insbesondere seine Haltung gegen die „Rassenvermischung“, vorgestellt und diskutiert werden.

Di, 06.06., 18 Uhr  

Prof. Dr. Veronique Zanetti: Selbstverteidigung der Staaten: ethische Überlegungen

Die Ethik des gerechten Kriegs ist ein viel diskutiertes Thema. Nur wenige Autoren haben sich allerdings mit der Frage auseinandergesetzt, ob und warum es gerechtfertigt ist, dass Staaten sich gegen bewaffnete Angriffe militärisch verteidigen. Analog zum individuellen Recht auf Notwehr wird die staatliche Selbstverteidigung gegen bewaffneten Angriff in der Theorie und im Völkerrecht als eine legitime Reaktion hingenommen und selten in Frage gestellt. Dass Staaten das Recht haben sollen, ihre Unabhängigkeit mit Krieg zu verteidigen, ist allerdings rechtfertigungsbedürftig. Denn Staaten sind keine Entitäten, die an sich wertvoll sind. Es gibt allerlei Formen von Staaten, darunter autokratische und diktatorische, die ihre Bevölkerung misshandeln. Außerdem bringen Staaten bei der Selbstverteidigung ihre eigene Bevölkerung in Gefahr. Es gehört allerdings zu den Daseinsberechtigungen eines Staates, für die Sicherheit seiner Bürger zu sorgen. Es bedarf mithin einer Rechtfertigung, dass für die Verteidigung des Staates Menschen (eigene Bürger und Fremde) getötet werden, die nicht unbedingt eingewilligt haben, im Kampf zu sterben. Welches sind die Gründe, dass ein Staat verteidigt werden kann oder soll? Welche Werte verkörpert ein Staat, die mit ihm durch einen bewaffneten Angriff untergingen? Der Vortrag geht auf solche und weitere ethische Überlegungen zum Selbstverteidigungsrecht der Staaten ein.  

Di, 20.06., 18 Uhr

Prof. Dr. Christina Schües: Wie Friedenphilosophie zu Wort kommt?

Werden im Namen des 'Friedens' militärische Einsätze legitimiert oder Kriege geführt, bleibt die Frage, was eigentlich Frieden sei, letztendlich unwirklich. Angesichts der derzeitigen Weltlage, scheint momentan kaum jemand an die Wirklichkeit oder Bedeutsamkeit von tragfähigen Friedensdiskursen zu glauben. Deshalb geht der Vortrag der Frage nach, wie ‚Frieden‘ für Heute oder Morgen zu Wort kommen könnte. In welcher epistemischen oder politischen Perspektive können Friedensphilosophie und -praxis ihre Stimmte haben und ihren Beitrag leisten? Der Vortrag wird sich kritisch mit dem Konzept des "liberalen Friedens" auseinandersetzen, um schließlich eine Friedensursachenforschung vorzuschlagen, die lokal, relational und plural situiert ist.

Di, 04.07., 18 Uhr

Prof. Dr. Vinzenz Hediger: Bilder der Welt und Nebel des Krieges. Zum Wandel der medialen Konfiguration bewaffneter Konflikte

Russland führt seinen imperialistischen Eroberungs- und Vernichtungskrieg gegen die Ukraine als hybriden Konflikt: über Jahre haben russische Staatsmedien wie RT, Gewährsleute in westlichen Institutionen und Medien und Trollfarmen das Terrain für den Angriff bereitet. Russland scheitert in seinem Ansinnen aber nicht nur an der „state capacity“, dem staatlich organisierten Widerstandswillen der Ukraine, von der Armee bis zur Eisenbahn. Der Ukraine ist es auch gelungen, der in diesem Feld vermeintlich ebenfalls überlegenen Russischen Föderation die Initiative auf dem Feld der strategischen Kommunikation zu entreissen. Eine stilsichere Beherrschung westlicher populärkultureller Idiome erweist sich dabei als besonders wichtiger Faktor, wie etwa das mittlerweile geschichtsträchtig gewordene Selfie von Präsident Zelensky und seinem Stab am Abend nach dem Angriff zeigt. Ein weiterer Faktor ist die spontane Kooperation von staatlichen und nichtstaatlichen und überstaatlichen Akteuren, wie etwa des NAFO-Netzwerks von twitter-Trollen, die russische Desinformationsaccounts mit Nonsense fluten. Aber auch auf dem Schlachtfeld selbst erweisen sich digitale Bildtechniken als unverzichtbar. So analysiert die ukrainische Armee mit KI pro Tag bis zu 1.5 Millionen Drohnen-Luftaufnahmen der frontnahen Gebiete, um Angriffsziele für die Artillerie ausfindig zu machen. Der Vortrag entwirft einen Umriss dieser neuartigen medialen Konfigurationen bewaffneter Konflikte im 21. Jahrhundert.

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Kontakt

Prof. Dr. Elif Özmen

Elif.Oezmen

 

Institut für Philosophie, Professur für Praktische Philosophie
Rathenaustraße 8, 2. Stock
35394 Gießen

Alexandra Darabos
Institut für Philosophie
Rathenaustraße 8, 2. Stock, Raum 209
35394 Gießen

Telefon: + (49)-641-99-15531

E-Mail: Alexandra.Darabos