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Geschichte des Instituts

Kleine Institutsgeschichte*


Grabstein Ritgen auf dem Alten Friedhof in Gießen, Foto: S. Ruby 2021
Die Anfänge des Gießener Instituts für Kunstgeschichte reichen in das frühe 19. Jahrhundert zurück und waren mit der universitären Architektenausbildung verknüpft. Ab 1835 gab der in Darmstadt zum Architekten ausgebildete Hugo von Ritgen (1811-1889) Zeichenunterricht an der Ludwigs-Universität in Gießen. 1838 wurde ihm dort ein Lehrstuhl für Architektur und Ingenieurwissenschaften eingerichtet. Im selben Jahr engagierte Ritgen sich auch bei der Gründung der Handwerkerschule des Gießener Ortsgewerbevereins. Sie war ein Vorläufer der heutigen Technischen Hochschule Mittelhessen (THM), deren Fachbereich Bauwesen 2003 das neu hergerichtete und nun nach ihm benannte Hugo-von-Ritgen-Haus in der Gießener Südanlage bezog.

Hugo von Ritgen arbeitete als Architekt, Denkmalpfleger und Universitätsprofessor und war auch bildkünstlerisch tätig. Das Oberhessische Museum verwahrt ein umfangsreiches Konvolut an Aquarellen von seiner Hand. Ab 1849 und bis zu seinem Lebensende war Ritgen für die Restaurierung der Wartburg bei Eisenach in Thüringen zuständig. Sein heutiges Renommee resultiert maßgeblich aus dieser Tätigkeit, sein Wirken in Gießen und in der Region harrt noch der vertiefenden Erforschung.** Im Zuge der Neuordnung der Hochschullandschaft im Großherzogtum Hessen-Darmstadt wurde 1874 der Lehrstuhl für Architektur und Ingenieurwissenschaften an die 1869 eingerichtete Polytechnische Schule beziehungsweise ab 1877 Technische Hochschule Darmstadt verlegt. Hugo von Ritgen blieb jedoch in Gießen und lehrte fortan nicht mehr Baukunst, sondern Kunstgeschichte.

Nach Ritgens Tod 1889 war der Gießener Lehrstuhl für einige Jahre vakant und wurde erst wieder 1893 von dem Privatdozenten Adelbert Matthaei (1859-1924), einem Experten für französische Zisterzienserarchitektur, vertreten. Matthaei blieb allerdings nur kurz und wechselte schon zum Wintersemester 1893/94 als akademischer Zeichenlehrer und außerordentlicher Professor für Kunstgeschichte an die Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Erneut blieb der Lehrstuhl für einige Jahre nicht besetzt und wurde schließlich von dem Klassischen Archäologen Bruno Sauer (1861-1919) übernommen. 1897 erhielt Sauer die Ernennung zum außerordentlichen Professor für Archäologie und Kunstgeschichte, im darauffolgenden Jahr zum Direktor des Kunstwissenschaftlichen Instituts und des Kunst-, Münz- und Antikenkabinetts (später Archäologisches Institut) der Ludwigs-Universität. Für mehr als eine Dekade waren somit die beiden Disziplinen in einem Institut verbunden, und man pflegte eine enge Anbindung, vor allem der Lehre, an die kunstgeschichtlichen und archäologischen Objektbestände im gemeinsamen Haus.

Haus des ehemaligen Kunstwissenschaftlichen Instituts, Ludwigstraße 34, Gießen, Foto: wikipedia
1906 wurde der studierte Architekt und Kunsthistoriker Christian Rauch (1877-1976) bei Sauer in Gießen habilitiert und zum Privatdozenten ernannt. Unter seiner Ägide vollzog sich die Neueinrichtung des Kunstwissenschaftlichen Instituts und die Gründung des dann sog. Kunsthistorischen Seminars. Rauch, der erst 1920 und sicher verzögert durch das Kriegsgeschehen zum ordentlichen Professor für Kunstgeschichte an der Gießener Universität ernannt wurde, besaß eine für die Zeit vergleichsweise breite Expertise, die Architektur und Malerei vor allem der älteren Epochen umfasste. Er setzte sich zudem sehr für die Dokumentation und Erschließung der Kunstdenkmäler in Hessen und in der Region ein, gab die Zeitschrift Hessen-Kunst heraus und arbeitete dafür eng mit Künstlern zusammen. Besondere Verdienste erwarb Rauch mit der Grabungskampagne zur Erforschung der karolingischen Kaiserpfalz in Ingelheim am Rhein. Unterstützt durch die 1919 gegründete Gesellschaft der Gießener Kunstfreunde, engagierte Rauch sich für die Belange des Kunstwissenschaftlichen Instituts sowohl hinsichtlich der Beschaffung von Lehrmitteln als auch bezüglich der Unterbringung. 1928 konnte das um einen Hörsaalanbau erweiterte Haus in der Ludwigstraße 34 bezogen werden.

Als nach dem Zweiten Weltkrieg die Ludoviciana ihren Universitätsstatus verlor und zu der auf Landwirtschaft und Veterinärmedizin reduzierten Justus-Liebig-Hochschule wurde, musste auch das Kunstwissenschaftliche Institut den Betrieb einstellen. In das Gebäude in der Ludwigstraße zog 1946 das Amerikahaus ein. Die Bibliothek und nahezu alle anderen Lehrmittel des Instituts wurden an die Technische Hochschule Darmstadt überführt, wo die Architektur- und Kunstgeschichte erhalten blieb. Aber schon ab 1950 gab es auch an der Justus-Liebig-Hochschule wieder kunstgeschichtliche Lehrveranstaltungen, in der „Allgemeinen Abteilung“. Sie wurden von dem Privatdozenten Ottmar Kerber (1902-1986) zunächst im Rahmen von Lehraufträgen unterrichtet und gewährleisteten eine Kontinuität und Kultivierung des Faches vor Ort, die der Wiedereinrichtung einer Professur für Kunstgeschichte an der (ab 1957) Justus-Liebig-Universität zugutekam. 1965 wurde Günther Fiensch (1910-1997) auf den Lehrstuhl berufen und die Gießener Universität hatte damit wieder ein Kunstgeschichtliches Seminar, das seit 1972 – mit der Ernennung von Norbert Werner (1937-2019) – sogar zwei Professuren besaß.

Ebenfalls in den späten 1960er Jahren war mit der von der JLU übernommenen Hochschule für Erziehung auch ein Institut für Kunsterziehung, das heutige Institut für Kunstpädagogik (IfK), an die Gießener Universität gekommen. Verteilt auf die beiden Philosophika des neu errichteten Campusgeländes gab es somit zwei nun mehr auf die bildenden Künste als auf die Architektur fokussierten Institute im Aufbau, deren vielfältige Kooperationen und sicher auch Konkurrenzen noch der historischen Aufarbeitung bedürfen.

Vincenzo Baviera, Räderwerk Nord, 1986-1990, Teil des Gießener Kunstwegs am Philosophikum I, Foto: Stefan Flöper / Wikimedia Commons
Während Günther Fiensch sich der vormodernen Malerei und Graphik widmete, vertrat der eigentlich für die mittelalterliche Kunstgeschichte „zuständige“ Norbert Werner ein thematisch breites Tableau, vor allem in der Lehre. Beide verfolgten primär form- und stilgeschichtliche Fragestellungen. Werner gründete 1970 die Fachzeitschrift Gießener Beiträge zur Kunstgeschichte (bis 1997) und war engagiert beim Ausbau des Gießener Kunstwegs. Den die beiden Philosophika verbindenden Skulpturenweg hatte der 1979 auf den Gießener Lehrstuhl berufene Gottfried Boehm (geb. 1942) initiiert. In seiner Zeit wurden die Kunst der Moderne und bildtheoretische Fragen zu einem Schwerpunk von Forschung und Lehre am Institut. Er wurde dabei unterstützt von Bernd Growe (1950-1992). 1986 wechselte Boehm auf ein Ordinariat für Kunstgeschichte an die Universität Basel. Sein unmittelbarer Nachfolger in Gießen war 1988 Oskar Bätschmann (geb. 1943), der allerdings schon im Sommer 1991 einem Ruf an die Universität Bern folgte. Den vakanten Lehrstuhl vertrat zunächst und übernahm 1993 dann auch Marcel Baumgartner (geb. 1950), der bis 2016 die Geschicke des Instituts lenkte.

Neuer Kunstverein Gießen e.V. (im Hintergrund die Kapelle des Alten Friedhofs), Foto: Jan Schüler 2014
Baumgartner bereicherte die Gießener Kunstgeschichte um ein ausgeprägtes Interesse an der Historiographie des Faches und seinen philologischen Traditionen sowie um persönliche Erfahrungen in der kuratorischen Praxis. Er setzte die Schwerpunkte in der Kunst und Architektur der Moderne fort und erarbeitete ab 1995 mit Studierenden eine Reihe von Ausstellungen zeitgenössischer Kunst, die in der alten Gießener Kunsthalle (heute Kongresshalle) präsentiert und in der Publikationsreihe Kunstgeschichte und zeitgenössische Kunst dokumentiert wurden. 1998 war Baumgartner Mitbegründer des Neuen Kunstvereins Gießen und schuf damit eine bis heute wichtige Schnittstelle zwischen den Instituten für Kunstgeschichte und Kunstpädagogik an der JLU, der städtischen Öffentlichkeit und der Kulturszene in der Region.

2003 wurde Silke Tammen (1964-2018), als Nachfolgerin von Norbert Werner, auf die zweite Professur am Gießener Institut für Kunstgeschichte berufen und verschaffte dieser ein dezidiert mediävistisches, bild- und materialwissenschaftlich akzentuiertes Profil. Tammen vertrat eine innovative und interdisziplinär besonders anschlussfähige Kunstgeschichte des Mittelalters. Vor allem Handschriften und Textilien, Reliquiare und Schmuckobjekte rückte sie nicht nur neu in den Blick, sondern verstand sie auch in ihrer sinnlichen Vieldeutigkeit zu erforschen und zu lehren.

Seit 2016 bzw. 2019 stehen Sigrid Ruby (geb. 1968; Schwerpunkt Neuere und Neueste Kunstgeschichte) und Markus Späth (geb. 1969; Schwerpunkt Kunstgeschichte des Mittelalters) dem Institut für Kunstgeschichte vor. Kooptiert ist die Professur für Kunstgeschichte am Institut für Kunstpädagogik, die seit 2008 Claudia Hattendorff (geb. 1963) innehat.

 

* Zur ausführlichen Institutsgeschichte vgl. Ruby, Sigrid (Hg.): 150 Jahre Kunstgeschichte an der Universität Gießen, Stuttgart: Steiner 2024.

** Leben und Werk des Hugo von Ritgen wurden von der Kunsthistorikerin Dr. Yvonne Rickert erforscht – im Rahmen eines vom Institut für Kunstgeschichte (Prof. S. Ruby) und dem FB Bauwesen der THM (Prof. N. Zieske, U. Wassermann) in Kooperation erarbeiteten Projekts. Vgl. Ruby, Sigrid u. Yvonne Rickert (Hgg.): Moderne und Mittelalter. Die Baukunst des Hugo von Ritgen, Weimar: arts + science 2024.

 

Text: Sigrid Ruby