Ringvorlesung SoSe 2014: "Theorien und Methoden des Lernens und Lehrens im Islam"
Kurzberichte der Gastvorträge im Rahmen der Ringvorlesung zum Thema "Theorien und Methoden des Lernens und Lehrens im Islam"
Prof. Dr. Stefan Reichmuth (Ruhr-Universität Bochum)
Prof. Reichmuth hielt im Rahmen der Ringvorlesung "Theorien und Methoden des Lernens und Lehrens im Islam", die von der Professur für islamische Theologie und ihre Didaktik der JLU Gießen veranstaltet wird, einen Vortrag mit dem Titel "Die islamische Wissensgesellschaft in Geschichte und Gegenwart".
In einem Streifzug durch die islamische Bildungsgeschichte legte Reichmuth die These dar, dass der Islam als eine „Bildungsreligion“ zu bezeichnen sei. Dabei wurde aufgezeigt, dass der Koran die Entstehung vieler islamischer Wissenschaftsdisziplinen wie z.B. die Grammatik veranlasst und damit den Weg für unterschiedliche Verkörperungen und Institutionen von Bildung geebnet hat. Reichmuth verdeutlichte, mit welchem Einsatz Muslime die Institutionalisierung von höherer Bildung durch die Etablierung der Madrasa vorangetrieben haben und welches breite Spektrum an religiösen sowie profanen Wissenschaften sie bereits sehr früh – u.a. in Anknüpfung an die antike Bildungstradition – adaptiert und weiterentwickelt haben. Die hieran anschließende Darstellung über die Entwicklung der Lehreinrichtungen im Osmanischen Reich der Neuzeit untermauerte die Annahme, dass man von einer „islamischen Wissensgesellschaft“ sprechen kann. Reichmuth beleuchtete hierbei den Prozess der systematischen Organisation, Bürokratisierung und Hierarchisierung des Schulwesens und Wissens unter den Osmanen ganz im Zeichen der neuzeitlichen Wissensgesellschaft. Durch die Darlegung verschiedener Ansätze zur Reform der Madrasa-Bildung sowie anhand beispielhafter Lehrmethoden konnte Reichmuth schließlich zeigen, dass didaktische Elemente sowie die Elementarbildung einen hohen Stellenwert im osmanischen Reich innehatten.
Dr. Mark Chalîl Bodenstein (Goethe Universität Frankfurt)
Dr. Mark Chalîl Bodenstein von der Goethe Universität Frankfurt hielt im Rahmen der Ringvorlesung "Theorien und Methoden des Lernens und Lehrens im Islam", einen Vortrag mit dem Titel "Im Brunnen der Geschichte. Qiṣaṣ al-Anbiyāʾ als Symbole im Islamischen Religionsunterricht".
Dr. Bodensteins Vortrag war gekennzeichnet von wissenschaftlicher Komplexität, insofern als dass er Gebrauch von gleich mehreren Fachsprachen machte. Er verband die Sprache der Literaturexegese mit Semiotik und ging über zur Symboldidaktik. Die Sprachen gemeinsam dekodierten den direkten Nutzen von Prophetengeschichten für den Islamischen Religionsunterricht. Ziel dieses Unterrichts solle die Erreichung einer kulturellen Literarität/Kompetenz (=religious literacy) sein. Das bedeutet, neben Sach- und Fachwissen muss auch selbstreguliertes Lernen trainiert werden, um die Welt deuten und verstehen zu können. Damit entsteht der Bezug zur Semiotik. Religiöse Texte gelten als semiotische Zeichen – für Gläubige als Zeichen Gottes – und insbesondere Prophetengeschichten eignen sich gut für den Grundschulunterricht. Aus den Narrativen lassen sich praktische Handlungsoptionen und ethische Maxime ableiten. Zum Schluss konnte an einem konkreten Textbeispiel aus dem Koran diskutiert werden, wie man im Unterricht vorgehen könnte. Wichtig ist, unter Beachtung der didaktischen Ziele nichts vorzugreifen. Die Wahrheit der Prophetengeschichten ist irrelevant, und deshalb sind diese Geschichten nur Symbole. Für viele ist ihr Wahr Sein ein Zeichen für die Existenz Gottes. Doch dies sollen Schülerinnen und Schüler selbst entscheiden lernen.
Prof. Dr. Sebastian Günther (Universität Göttingen)
"Nur diejenigen, die Verstand haben, lassen sich mahnen" (Koran 39:9)
Unter diesem koranischen Leitmotiv hielt Prof. Dr. Sebastian Günther im Rahmen der Ringvorlesung "Theorien und Methoden des Lernens und Lehrens im Islam" einen Vortrag über "Klassische muslimische Denker zur Rolle des Intellekts im Lernen".
In einer Zeitreise in die klassische Periode des Islam (8. - 13. Jhd.) beleuchtete Günther die Bildungstheorien früher muslimischer Gelehrter. Anhand ausgewählter Koranverse und Hadithe belegte er zu Beginn den enormen Stellenwert des Wissens im Islam und verwies auf die göttliche Aufforderung, eigenständig nachzudenken und den Verstand zu gebrauchen. Dabei stellte er die Bedeutung der bereits im Koran erwähnten Kulturtechniken des Lesens und Schreibens und den daraus resultierenden Zugang zum Wissen für die Etablierung des Islam als Bildungsreligion heraus. Anschließend skizzierte Günther die Entstehung der frühen intellektuellen Zentren und erläuterte ihre Relevanz für die Rezeption des antiken griechischen Erbes und die Entwicklung der islamischen Wissenschaften. Am Beispiel ausgesuchter Texte kristallisierte er die zentralen Überlegungen prominenter Gelehrter dieser Epoche heraus. Demnach unterscheidet al-Kindi als erster islamischer Aristoteliker zwischen aktivem und passivem Intellekt und entwickelt ein dreistufiges Konzept vom Denken. Die Bedeutung des Verstandes, um zwischen Wahrem und Falschem unterscheiden zu können (al-Samarqandi), führt über die Welt- und Gotteserkenntnis durch rationales Lernen (Ibn Tufail) bis hin zur These Ibn Rushds, dass das rationale Denken und die wissenschaftliche Erforschung der realen Welt nach dem göttlichen Gesetz nicht nur ausdrücklich vorgeschrieben, sondern gar gefordert und geschützt werden. Al-Farabi zufolge verhilft die Vernunft dazu, auf der Basis von Einsicht das Gute zu tun und das Böse zu meiden. Durch Einblicke in Überlegungen von al-Jahiz über den Wert der Bücher und das pädagogische Prinzip, Wissensvermittlung unterhaltsam zu gestalten, stellte Günther die Verbindung zur Unterrichtspraxis her. Abgerundet wurde der Vortrag durch den Verweis darauf, dass auch zeitgenössische muslimische Intellektuelle die aktuelle Dimension der Theorien erkannt haben.