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Birte Kohtz

Biographie

 

1979 geboren in Köln
2002-2009 Studium der Osteeuropäischen Geschichte, Mittleren/Neuen Geschichte und Politikwissenschaft an der Universität zu Köln
Seit Dezember 2009 Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Osteuropäische Geschichte der JLU Gießen

 

 

Dissertationsprojekt

Arbeitstitel: "Über Körper und Seelen. Konzeptionen von Ethnizität und Geschlecht in der Anthropologie und Psychiatrie des Russländischen Reichs"

 

Wie im Falle anderer europäischer Gesellschaften der Jahrhundertwende, so kann auch im Russländischen Fall von einer Phase des Umbruchs von Geschlechterkonstruktionen gesprochen werden – neben der in Russland bereits seit der Mitte des 19. Jahrhunderts in der Öffentlichkeit diskutierten „Frauenfrage“ konstatiert die jüngere Forschung zur russländischen Geschlechtergeschichte auch eine Veränderung von Männlichkeiten. Eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem multiethnischen Kontext, den das Russländische Imperium diesen Veränderungen verlieh, steht jedoch noch aus. 

Hier setzt das wissenschaftsgeschichtlich orientierte Projekt an, dessen Ziel es ist, die Formierung von Geschlechterkonzeptionen im ausgehenden Zarenreich mit einem Schwerpunkt auf Anthropologie und Psychiatrie zu erforschen. Dies bietet sich einerseits insofern an, als Wissenschaftler und Ärzte in besonderem Maße vom Dilemma einer „Krise der Männlichkeit“ betroffen waren, da sie sich als Mitglieder einer Expertenschicht weder an traditionellen Modellen ruraler Männlichkeit noch traditionellen adligen Modellen orientieren konnten. Zugleich erhoben die Wissenschaften von Körper und Seele des Menschen, wie es etwa D. Beer in seiner Auseinandersetzung mit dem russländischen Degenerationsdiskurs gezeigt hat,  durchaus einen Anspruch auf Deutungshoheit in den gesellschaftlichen und auch politischen Fragen, die das ausgehende Zarenreich erschütterten.

Von der Überlegung R. Connells ausgehend, dass Geschlecht, Ethnizität und innergesellschaftliche Machtbeziehungen einander bedingende Größen sind, fragt das Projekt in einem Dreischritt von „Beobachten, Beschreiben, Behandeln“ nach den verschiedenen Ebenen, auf denen Anthropologen, Ärzte und Psychiater in der Auseinandersetzung mit ihren „Forschungsobjekten“ oder Patienten durch Prozesse der Abgrenzung, Zuschreibung und Reflexion ethnospezifische Geschlechterkonzepte konstruierten. Dabei soll sowohl der entsprechende Diskurs des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts untersucht werden, wie in er  in fachwissenschaftlichen Zeitschriften, Monographien und Ausstellungen stattfand, als auch die Praktiken, durch welche dieses Wissen auf Expeditionen oder in psychiatrischen Krankenhäusern geschaffen wurde.