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Kopf einer Artemis italica mit Löwenfellkappe

Verfasserin: Waltrud Wamser-Krasznai

 

TI-14

Kopf einer Artemis italica mit Löwenfellkappe, Inv. T I-14; alte Inv.-Nr. 51

Provenienz unbekannt.

 

Vorderseite aus der Matrize, an den Rändern nicht ausgearbeitet; Rückseite konkav, flüchtig geglättet. Versintert. Hellbrauner (10YR 6/4 bis 7.5YR 6/5) Ton. Keine Spuren von Bemalung oder Engobe.

Erhaltung: Schräger Abbruch der Halspartie. Spitze der Kappe verloren, ebenso die linke Löwenpfote und der unterste Abschnitt der rechten.

Maße: H: 12,9 cm; B.: 11,5 cm; T: 5,8 cm.

Lit.: A. Klöckner – M. Recke (Hrsg.), Herakles & Co. Götter und Helden im antiken Griechenland (Gießen 2010) 64 Abb. 27

 

Beschreibung: Das Haar teilt sich über der Stirn und bauscht sich über den Schläfen und Ohren. Im rundlich-ovalen Gesicht dominiert die große, gerade Nase. Glatte Wangen verjüngen sich entschieden gegen das durch eine tiefe Kerbe von der Unterlippe getrennte Kinn. Ein Ansatz zum Doppelkinn ist deutlich. Die vollen, geschwungenen Lippen sind fest geschlossen. Bandartig breite Lider fassen die schmalen, weit aus einander stehenden Augen ein. Über den leicht gewölbten Orbitalen verlaufen die Brauen fast horizontal.

Der Kopf ist mit einer Löwenfellkappe bedeckt, die aus dem Oberkiefer mit der Nase, den kleinen runden Augen und zwei symmetrischen Bögen gelockten Fells besteht. Die Pranken fallen auf die Schultern.

 

Kommentar: Der in Großgriechenland bekannte und auch in Sizilien beliebte Typus der Artemis italica mit Löwenfellkappe[1] hat ihren Schwerpunkt in der Region Tarent-Lukanien[2]. Im Gegensatz zu der mit der thrakischen Alopekis, einer Fuchspelzmütze, geschmückten Artemis Bendis trägt die Göttin in ihrer unteritalischen Erscheinungsform eine spitz zulaufende Mütze, über die eine Löwenmaske gezogen ist[3]. Gleichwohl wird die unzutreffende Bezeichnung „Bendis“ weiterhin tradiert[4]. In der Verbindung der italischen Artemis mit dem Löwen äußert sich vermutlich die enge Beziehung Tarents zu seiner Mutterstadt Sparta, wo man die Göttin in ihrer Eigenschaft als Beherrscherin der ungezähmten Natur (potnia theron) verehrt[5].

Die Abmessungen des Kopfes T I-14 lassen auf eine ursprüngliche Höhe der Figur von 50-60 cm zu schließen. Im engeren Sinn gehört der Kopf  zu einem Typus mit Stirnhaar, das unter der Löwenkappe hervortritt[6].

Die besondere Breite der Augen-Jochbein-Partie und der große Abstand zwischen den Augen sind Hinweise auf die Entstehung in einer westgriechischen Werkstatt.

Trotz der offenen Rückseite macht der Kopf einen rundplastischen Eindruck. Die fülligen Wangen, die Grube zwischen Unterlippe und Kinn sowie die Tendenz zum Doppelkinn und das volle, an den Seiten gebauschte Haar sind stilistische Merkmale der 1. Hälfte des 4. Jhs. v. Chr.[7]

 

Einordnung: 1. Hälfte des 4. Jhs. v. Chr., aus Tarent oder Herakleia/Lukanien

 

TI-14aTI-14bTI-14c

 


[1] C. Letta, Piccola coroplastica metapontina nel Museo Archeologico Provinciale di Potenza (Neapel 1971) 121-123 Taf. 24, 4.

[2] Tarent: C. Iacobone, Le stipi votive di Taranto (Rom 1988) 21-23 Taf. 11b; W. Schürmann, Katalog der antiken Terrakotten im Badischen Landesmuseum Karlsruhe (Göteborg 1989) 54-56 Nr. 140-147 Taf. 28; Herakleia: B. Neutsch, Archäologische Forschungen in Lukanien II. Herakleiastudien, RM Ergh. 11 (Heidelberg 1967) 167-169 Taf. 28; einzelne Exemplare in Metapont: U. Anzenberger, Artemis-Bendis. Kult und Votive in Griechenland und der Magna Graecia (Diplomarbeit Leopold- Franzens- Universität Innsbruck 2001) 125; D. Adamesteanu – D. Mertens – F. d’Andria,  Metaponto I, NSc Suppl. 29, 1975 (Rom 1980) 94 Abb. 84 a. S. 145 Abb. 150 a.

[3] W. Schürmann, Katalog der antiken Terrakotten im Badischen Landesmuseum Karlsruhe (Göteborg 1989) 54 f. Nr. 140; C. Letta, Piccola coroplastica metapontina nel Museo Archeologico Provinciale di Potenza (Neapel 1971) 122 mit Anm. 376; LIMC II (1984) 690-692 Nr. 921. 925a. 928. 934 Taf. 515 f. s. v.  a. Artemis (L. Kahil).

[4] C.W. Lunsingh Scheurleer, Die Göttin Bendis in Tarent, AA 1932, 314-334; M. Bonghi Jovino, Documenti di coroplastica italiota, siceliota ed etrusco-laziale nel Museo Civico di Legnano (Florenz 1972) 84-98 Taf. 25/26; B. Neutsch, Archäologische Forschungen in Lukanien II. Herakleiastudien, RM Ergh. 11 (Heidelberg 1967) 167 Taf. 28, 1-3; R. Miller Ammerman, The Religious Context of Hellenistic Terracotta Figurines, in: J. P. Uhlenbrock, The Coroplast’s Art. Greek Terracottas of the Hellenistic World  (New York 1990) 40 Abb. 28; B. Otto, Il santuario sorgivo di Siris-Herakleia nell’odierno Comune di Policoro, in: M. L. Nava – M. Osanna (Hrsg.), Lo spazio del rito. Santuari e culti in Italia Meridionale tra indigeni e greci. Atti delle Giornate di Studio, Matera 28 e 29 Giugno 2002 (Bari 2005) 16:

[5] Dazu auch eine Tonmatrize der Jägerin mit Löwenfellattributen und einem beigesellten Löwen aus Gela, K. Schauenburg, Bendis in Unteritalien? JdI 89, 1974, 181 Anm. 138a; P. Orlandini, Tipologia e cronologia del materiale archeologico di Gela I, ArchCl  9, 1957, 54 f. Taf. 14; ferner U. Anzenberger, Artemis-Bendis. Kult und Votive in Griechenland und der Magna Graecia (Diplomarbeit Leopold- Franzens- Universität Innsbruck 2001) 122.

[6] M. Bonghi Jovino, Documenti di coroplastica italiota, siceliota ed etrusco-laziale nel Museo Civico di Legnano (Florenz 1972) 53f. Nr. 89. 91Taf. 25; F. Winter, Die Typen der figürlichen Terrakotten. Die antiken Terrakotten, Band III, 2 (Berlin 1903) 162, 5. Ohne Stirnhaar z. B. B. Neutsch, Archäologische Forschungen in Lukanien II. Herakleiastudien, RM Ergh. 11 (Heidelberg 1967) 239 Taf. 28, 1. 3; C. Iacobone, Le stipi votive di Taranto (Rom 1988) 30 f. Taf. 24 a-c; E. Lippolis, Arte e artigianato in Magna Grecia (Neapel 1996) 202 Nr. 148.

[7] Bonghi Jovino, a. O. 49-50 Nr. 77 und 80 Taf. 23; auch R.A. Higgins, Catalogue of the Terracottas in the Department of Greek and Roman Antiquities British Museum (London 1954) 360 Nr. 1324 Taf. 181; S. Mollard-Besques, Catalogue raisonné des figurines et reliefs en terre-cuite grecs et romains I (Paris 1954) 127 Nr. C 275 Taf. 90; dazu großformatige Köpfe aus Tarent: E. Langlotz, Die Kunst der Westgriechen (München 1963)  88 f. Abb. 132 und Taf. 12.