Schauspieler mit Kithara
Verfasserin: Waltrud Wamser-Krasznai
Schauspieler der Mittleren Komödie mit Kithara, Inv. T I-21 Alte Inv.-Nr. 165. Fundort: unbekannt. Provenienz: Kunsthandel Athen. Erworben von Bruno Sauer mit Sondermitteln zum Universitätsjubiläum 1907.
Beigefarbener Ton(7.5YR 7/4), reichlich weiße Engobe. Spuren von rosa Farbe an der Kleidung, im Gesicht sowie am Instrument. Erhaltung: Nase abgebrochen. Bestoßungen an der rechten Hand, im Haar, an der Plinthe und auf der Rückseite am Brennloch, zwei breitere und ein längerer feiner Riss oben und entlang der Nahtstelle zur Vorderseite. Versintert. Maße: H: 9,5 cm; B: 5,6 cm; T: 2,8 cm, am Sockel 3,8 cm. Lit.: M. Recke, Antike Kunst aus der Antikensammlung der Justus-Liebig-Universität (Gießen 2010) 23 Nr. 47. |
Beschreibung: Auf einer etwa quadratischen Plinthe steht ein bärtiger Mann, die Kithara[1] an seiner linken Seite. Vom Instrument hängt ein Tuch mit spitzem Zipfel herunter. Der Spieler wendet sich dem Betrachter zu; nur das linke Bein ist nach außen, in die Profilansicht, gedreht. Der über die Brust hinweg ausgreifende rechte Arm erreicht die Kithara, doch Hand und Finger, die in die Saiten schlagen sollten[2], lassen sich nicht mehr abgrenzen. An dem kurzen Trikot sind künstliche, aufgebundene Genitalien befestigt[3]. Der Mantel, der auch über den Kopf gezogen ist, fällt an beiden Seiten als schmaler Saum bis zur Plinthe herab.
In flachem Bogen begrenzt ein dicker Haarwulst die hohe Stirn. Die kleinen Augen liegen dicht nebeneinander. Von der Nase ist nur noch der Umriss erhalten. Ein Schnauzbart rahmt den breiten und geöffneten Mund. Das Kinn ist von einem dreieckig geformten Spitzbart bedeckt.
Kommentar: Die Figur des maskiert auftretenden Kitharaspielers gleicht einer Statuette im Kunsthistorischen Museum in Wien, Inv.-Nr. V 1825. Das gut erhaltene Vergleichsexemplar ist von Körte aufgelistet und bei Winter abgebildet[4]. Bei dem ebenfalls von Körte genannten "verwaschenen Exemplar" Nr. 51 handelt es sich vermutlich um die seiner Zeit im Athener Kunsthandel, jetzt in Gießen befindliche Statuette T I-21. Diesen beiden ähnelt eine weitere Schauspielerfigur im Kunsthandel[5]. Sie weicht in der Haltung ein wenig ab; der Kopf ist leicht nach rechts gedreht. Man erkennt die rechte Hand und die Finger, die in die dicken Saitenstränge greifen, sowie die Linke, die den oberen Rand des Instruments umfasst. Eine Art Diadem trennt das gesträubte Haar von der hohen, quer gefurchten Stirn. Der Bart ist längs gesträhnt.
Das kurze, die Genitalien zur Schau stellende Gewand und der zugespitzte dreieckige Bart gehören zu den Requisiten der Alten Komödie, die aber, wie M. Bieber zeigt[6], noch beibehalten worden sind, als die Entwicklung der dramatis personae zu einer mehr individuellen Charakterisierung der Neuen Komödie einsetzt[7]. Im Gegensatz zu den rundplastisch gestalteten Schauspieler-Figuren der Mittleren Komödie in New York[8] sind der Gießener Kitharaspieler und dessen Parallelen ganz auf die Frontansicht hin angelegt. T I-21dürfte gegen Ende des 4. Jhs. v. Chr. konzipiert worden sein. Für die Vergleichsstücke gilt Böotien (Tanagra) als Entstehungslandschaft. Die helle Tonfarbe des Gießener Exemplars passt dazu.
Einordnung: um 320/310 v. Chr.; aus böotischer Werkstatt.
[1] Sonst durchweg als „Lyra“ bezeichnet, M. Bieber, The History of the Greek and Roman Theater (Princeton 2.Aufl. 1961) 43; A. Pickard-Cambridge, The Dramatic Festivals of Athens (Oxford 31988) 165-166; T. B. L. Webster, Monuments Illustrating Old and Middle Comedy (London 1969) 46 Nr. AT 90.
[2] Zu diesem Gestus s. auch Apollon Kitharoides, B. Vierneisel- Schlörb, Kerameikos 15, Die figürlichen Terrakotten (München 1997) 47 Nr. 141 Taf. 27, 1.4; ferner ein Kithara spielender Eros in Leipzig, E. Paul, Antike Welt in Ton (Leipzig 1959) 89 Nr. 236 Taf. 64.
[3] H. Froning, Theater-Terrakotten. Aus der Antikensammlung des Archäologischen Seminars der Philipps-Universität (Marburg 1993/94) 24.
[4] A. Körte, Archäologische Studien zur alten Komödie, JdI 8, 1893, 81 Nr. 50; Winter 2 1903, 417, 8.Für Informationen zu der bisher unpublizierten Parallele in Wien danke ich A. Bernhard-Walcher und M. Laubenberger, Wien, sowie M. Recke, Gießen/Frankfurt. Webster nennt drei Exemplare: außer Wien Inv. 1825 noch Körte Nr. 50 aus Tanagra in der Collection Lecuyer und Körte Nr. 51 aus Böotien,im Athener Kunsthandel, ders. 1969, 46, AT 90.
[5] St. Ohlig, Kunstwerke der Antike, Antikenkabinett Bernd Gackstätter, Frankfurt am Main, Ausstellung 14.-28. April 2007, 32-33, Nr. 31. Für die Überlassung einer Fotografie danke ich B. Gackstätter, Frankfurt, für die Vermittlung M. Recke, Gießen/Frankfurt.
[6] Bieber a. O. 45-48 Abb. 185-198.
[7] Bieber ebenda 48.
[8] "The backs are as finely executed as the fronts", Bieber a. O. 46.