Tanagräerinnen
Weibliche Gewandstatuette mit Schleifenfrisur, "Tanagräerin" |
Verfasserin: Waltrud Wamser-Krasznai
Die Bezeichnung ist vom gleichnamigen Fundort Tanagra in Böotien abgeleitet und bezieht sich auf anmutige weibliche Terrakotta-Statuetten hellenistischer Zeit, die jedoch über nahezu alle Mittelmeerländer und darüber hinaus[1] verbreitet waren. Sie tragen gefällig drapierte vielfarbige Kleidung, deren reizvolle Bemalung oft zum Teil erhalten ist, etwa wenn die Figuren wie in Tanagra als Grabbeigaben den Witterungseinflüssen weniger ausgesetzt waren.
Die jungen Frauen in ihren eleganten Gewändern, den Kopf durch einen Schleier oder einen schirmartigen Sonnenhut geschützt, in den Händen Spiegel oder Fächer, gehören einer gehobenen bürgerlichen Gesellschaftsschicht an und scheinen eben im Begriff, den Oikos zu verlassen[2]. Ihre graziösen Gestalten entsprachen so genau dem Zeitgeschmack des 19. Jahrhunderts, dass Raubgräber und Händler trotz aller Bemühungen mit der Nachfrage nicht Schritt halten konnten. Es war eine lukrative Zeit für Nachahmer und Fälscher[3].
Ikonographie und Stil der Tanagräerinnen entwickelten sich in den Werkstätten Athens, wo nicht nur zahlreiche Matrizen (Model) an den Tag kamen[4], sondern auch die engen Beziehungen zwischen den großplastischen Werken der Bildhauer des 4. Jhs. v. Chr., den attischen Figuren-Vasen und den "Prä-Tanagräern" zu erkennen sind[5]. Andere namhafte Terrakottawerkstätten entstanden in Korinth[6] und Makedonien[7]. Theben und Tanagra hatten zunächst Statuetten aus Attika importiert, bis sie selbst damit anfingen, Terrakotten zu produzieren. Tanagra wurde, vor allem nach der Zerstörung von Theben, zu einem bedeutenden koroplastischen Zentrum[8].
[1] W. Martini, Sachwörterbuch der Klassischen Archäologie (Stuttgart 2003) 327 f.
[2] G. Zimmer – I. Kriseleit, Bürgerwelten. Hellenistische Tonfiguren und Nachschöpfungen im 19. Jh. Staatliche Museen zu Berlin. Preußischer Kulturbesitz, Antikensammlung (Mainz 1994) 84-87 Nr. 1 und 5; V. Jeammet, Tanagra. Mythe et Archéologie (Paris 2003) 177. 195-198 Abb.119. 132 f. L. Burn – R. Higgins, Cat. of Greek Terracottas in the British Museum III (London 2001) 47 Nr. 2050 Taf. 9. 50 Nr. 2061 Taf. 11.
[3] Bürgerwelten 1994, 59-81; Jeammet a. O. 294-305.
[4] L. Frey-Asche, Tonfiguren aus dem Altertum. Antike Terrakotten im Museum für Kunst und Gewerbe (Hamburg 1997) 70
[5] Jeammet a. O. 120-168.
[6] G. S. Merker, Corinth 18, 4 (Princeton 2000) 142 f. Nr. H 99. H 113 Taf. 33 f.
[7] Jeammet a. O. 126 Abb. 31.
[8] Jeammet a. O. 126 f.