Inhaltspezifische Aktionen

Fragment eines Kohlebeckens

 

Verfasserin: Waltrud Wamser-Krasznai

 

 

Silenskopf von einem Kohlebecken,  Inv. T I-29, alte Inv.-Nr. 146  und 78, Bartfragment S-173

Fundort: unbekannt.

Gefäßfragment mit Gesicht. Bart angesetzt, unten bestoßen. Unterer Teil des Rahmens an der linken Gesichtsseite verloren; rechts fehlt der gesamte obere Abschnitt. Verletzungen an Stirn, Nase und Mund.   

Massiv. Gesicht und Bart aus der Matrize. Unterseite des Bartes und Außenseite des Fragments geglättet. Teilweise stark versintert.

Grober ziegelroter (2,5YR 4/5- 6/6) Ton mit vielen Einschlüssen.

Maße: H: 7,0 cm; B: 7,1 cm; T: 7,2 cm; Länge des Bartes: 4,8 cm.

Lit: Unpubliziert.

Beschreibung: Es handelt sich um die Reliefdarstellung eines Gesichts mit langem Bart, der fast rechtwinklig vorspringt, und einem geschwungenen Oberlippenbart. Der Kinnbart ist geradlinig begrenzt und endet annähernd horizontal. Die schnurartigen Strähnen, die sich durch Längsrillen von einander absetzen, sind außen breiter als innen und streben unten leicht auseinander. Im oberen Abschnitt des Gesichts dominieren die weit geöffneten Augen, die von gebogenen Lidern umgeben und von wulstigen Brauen überwölbt sind. Der rechte Augapfel lässt eine Linsenbohrung erkennen. Die Nase ist breit und aufgeworfen, mit großen Nasenlöchern. Über der Stirn ein Kranz, der sich nach dem Ausweis zahlreicher Parallelen[1] aus Efeublättern zusammensetzt. Das Gesicht ist von doppelten schmalen, schnurartigen Wülsten, die nach unten leicht auseinanderlaufen, eingerahmt.

Kommentar: Der bärtige Kopf saß als Schmuck an einem tönernen Kohlebecken, ein zwischen dem 3. Jh. v. und dem 1. Jh. n. Chr. im  Mittelmeergebiet, vor allem in dessen östlichem Teil[2], aber auch im griechischen Mutterland[3] verbreiteter Gegenstand. Derartige Geräte erreichen eine Höhe zwischen 20 und 60 cm. Sie bestehen aus einem konischen Untersatz[4], der die Ventilation gewährleistet und die Asche aufnimmt, und einem halbkugeligen Becken mit mehrfach durchbrochenem Boden für Holzkohle. An der Innenseite sitzen drei Attaschen, die sich als Griffe und als Stütze zur Aufnahme von Gefäßen eignen[5]. Viele dieser Attaschen sind mit figürlichen aus Matrizen abgeformten Motiven geschmückt, vor allem mit männlichen Köpfen, wie das Gießener Stück, oder mit Masken. Ob man die Kohlebecken im Alltag oder im Kult gebrauchte wird diskutiert[6]. Die Exemplare aus Knidos z. B. stammen in der Mehrzahl von der Rundtempelterrasse und aus dem Apollonheiligtum, weisen also auf einen sakralen Zusammenhang hin[7]. Dagegen fand sich in Priene im Haus des Lampon neben den Fragmenten eines Kohlebeckens ein Kochtopf. Dieser war  jedoch mit Öllämpchen gefüllt[8]. So ist die Zugehörigkeit zu einem häuslichen Kult nicht völlig auszuschließen. Die Stücke von der Athener Agora , die sich unter der Stoa des Attalos befanden, stehen weder mit Wohnhäusern noch mit sakralen Gebäuden, sondern höchst wahrscheinlich mit einem kommerziellen Bauwerk in Verbindung[9] , was die Frage nach ihrer Funktion nicht beantwortet.             
Das Gießener Fragment ist auf der figürlichen Seite leicht konkav geformt; es saß  demnach an der Innenseite einer Attasche[10]. Eine Vielzahl von Vergleichsstücken belegt, dass es sich um das Gesicht eines Silens mit langem Bart handelt, dessen spitze Ohren nicht mehr nachweisbar sind und dessen Blattkranz nur noch zum Teil erhalten ist[11]. Auf Grund von Verletzungen und Versinterung lässt sich  auch nicht erkennen, ob die Stirn gefurcht oder mit einem Band umwunden war. Dieses Detail gehört zu den wenigen Merkmalen, durch die sich zwei verschiedene Ausprägungen des Silens-Typs voneinander unterscheiden. Gesichter mit Querfalten auf der Stirn sind durchweg von exakten Rechtecken gerahmt und mit vertikal ausgerichteten Bärten versehen[12]. Bei Silenen mit einem schmalen Band um die Stirn divergieren sowohl die Bartsträhnen als auch die Rahmen[13]. Zur zweiten Kategorie gehört offenbar das Exemplar Gießen; zur ersten das seit langem  bekannte Stück aus Priene mit der Signatur des Herstellers Hekataios, das in das 2. Jh. v. Chr. datiert[14]. Ohne Augenschein der Parallelen, nur der Abbildungen und nach den Maßangaben ist zu vermuten, dass es sich bei den kleineren, weniger präzis konturierten Objekten um Abformungen aus "abgeleiteten"  und  abgenutzten Matrizen handelt. Durch Abrieb könnten die  Querfalten auf der Stirn allmählich die Form des Stirnbandes angenommen haben. Eine Erklärung für die 'geschweiften' vertikalen Linien ist das nicht. "Sekundär-oder Tertiär-Matrizen" konnten ein wenig nachgearbeitet und vielleicht einem veränderten Geschmack angepasst worden sein. Ob sich für Gießen T I-29 aus den 'geschweiften Linien' ein etwas späteres Entstehungsdatum ableiten lässt, ist fraglich, zumal die Ausformung, soweit sich das trotz des mäßigen Erhaltungszustandes sagen lässt, relativ präzise erscheint. Auch der Fabrikationsort ist bisher nicht näher zu bestimmen.

Einordnung: 2. Jh. v.  Chr.? Kleinasien?

 


[1] A. Conze, Griechische Kohlenbecken, JdI 5, 1890, 118-141, hier 122-124; O. Didelot, Réchauds hellénistiques du Musée gréco-romain d'Alexandrie: Importations et productions locales, BCH Suppl. 33 (Paris 1998) 285-287 Abb. 1-4; E. Paul, Antike Welt in Ton (Leipzig 1959) 99, Nr. 328 Taf. 87; J. Raeder, Priene. Funde aus einer griechischen Stadt (Berlin 1984) 16. 65 Abb. 3 a; M. Şahin, Rauch für die Götter, AW 6, 2005, 91-96 Abb. 9; W. Schürmann, Kat. der antiken Terrakotten im Badischen Landesmuseum Karlsruhe (Göteborg 1989) 332 f. Nr. 1259 Taf. 208, R. Tölle-Kastenbein, Samos 16 (Bonn 1974) 169 Abb. 297.

[2] Paphos/Zypern, A. J. Decaudin, Les antiquités chypriotes:dans les collections publiques français (Nicosie 1987) 25 Nr. 11 Taf. 11; Alexandria, Didelot a. O. 275-306; Priene, F. Rumscheid, Ein in situ entdecktes Kohlenbecken aus dem Haus des Lampon in Priene: Neues zur Verwendung, Chronologie, Typologie und technischen Entwicklung hellenistischer Kohlenbecken, in: Euergetes. Festschrift Prof. Dr. Haluk Abbasoglu zum 65. Geburtstag (Antalya 2008) 1077-1090; Raeder a. O. 58. 65 Nr. 284 Abb. 3 a; Th. Wiegand – H. Schrader, Priene (Berlin 1904) 459-465 Abb. 565. 568 f.; Delos, C. le Roy, Réchauds déliens, BCH 85, 1961, 474; G. Siebert, Les Réchauds, Délos 27 (Paris 1970) 267-276 ---D 388. 393 Taf. 51 f.; Knidos, M. Şahin Hellenistische Kohlenbecken aus Knidos, Knidos-Studien 3 (Möhnesee 2003); Bodrum, M. Şahin, A Group of Brazier Handles from the Underwater Archaeological Museum in Bodrum, Adalya Nr. IV/1999-2000, 61-90 Abb. 1. 9-11. 19. 27 f.; Smyrna? Schürmann a. O. Nr. 1259 Taf. 208; aus dem Meer bei Iasos? Kohlenbecken mit Topf, F. Winter, JdI 12, 1897, 160-167 Abb. 1; Samos, Tölle-Kastenbein a. O. 169 Abb. 297.

[3] In Athen anscheinend vom 2. Jh. v. Chr. an für etwa hundert Jahre, S. I. Rotroff, Hellenistic Pottery. The plain Wares, The Athenian Agora 33, 2006, 199-222. 322-335 Taf. 74-87; Conze a. O.; B. A. Sparkes, The Greek Kitchen, JHS 82, 1962, 121-137 Nr. 4-6 Taf. 6; H. A. Thompson, Two centuries of Hellenistic Pottery, Hesperia 3, 1934, 420 f. Abb. 108. 109 (2. Jh. v. Chr.).

[4] Şahin a. O. 2005, 92 Abb. 3; Raeder a. O. 58; Rumscheid 2008, 1088 f. Abb. 11-16.

[5] Kohlenbecken mit Topf, angeblich aus dem Meer bei Iasos, F. Winter, JdI 12, 1897, 160-167 Abb. 1.

[6] Zu entsprechenden Funden auf der Athener Agora B. A. Sparkes, The Greek Kitchen, JHS 82, 1962, 121-137 Nr. 4-6 Taf. 6; H. A. Thompson, Two centuries of Hellenistic Pottery, Hesperia 3, 1934, 420 f. Abb. 108. 109 (2. Jh. v. Chr.)

[7] Şahin a. O. 2005, 93.

[8] Rumscheid 2008, 1086 f. Abb. 4. 8. 9; Winter a. O. 160-167 Abb. 1.

[9] Rotroff a. O. 201; dies. a. O., auch zu Manufakturen, fehlenden Küchen in Wohnhäusern, portablen Kochgeräten aus Metall und Ton S. 199.

[10] Zu Maskenreliefs an der Außenseite der Attasche s. z. B. Chr. Le Roy, Réchauds déliens, BCH 85, 1961, 474-500, hier S. 480. 482 Abb. 6. 9.

[11] von Didelot als Typ I a. O. 285-287 Abb. 1-4, von Şahin als Typ III bezeichnet, Şahin a. O. 94 f. Abb. 9. Mit spitzen Ohren auch bei Conze a. O. 126; Decaudin a. O. Nr. 11 Taf. 11; Şahin a. O. 94.

[12] Didelot a. O. 286 Abb. 1. 2; Şahin a. O. 94 f. Abb. 9; Decaudin a. O. Nr. 11 Taf. 11; Raeder a. O. 58. 65 Nr. 284 Abb. 3 a; Rotroff a. O. 324 Nr. 754 Taf. 75.

[13] Didelot a. O. 286 Abb. 3. 4; Conze a. O. 124; Rotroff a. O. 327 Nr. 778-781 Taf. 80.

[14] Raeder a. O. 58 Nr. 284 Abb. 3 a; zu den Signaturen Rotroff a. O. 212-215.