Theatrale Aushandlungen interreligiösen oder interkonfessionellen Zusammenlebens
Deutschsprachige Esther-Dramen des 16. Jahrhunderts
DFG-Sachbeihilfe (2025-2027)
„Die Juden mögend selbst sich rächen“ (V. 1227). Nicht nur diese Aussage macht Jos Murers Hester (1567) zu einem sehr aktuellen Drama. Das geplante Projekt nimmt seinen Ausgangspunkt bei Irritationen, die durch die Verwendung eines zentralen jüdischen Textes auf der christlichen Bühne und durch den Appell christlicher frühneuzeitlicher Dramen an ihr Publikum, sich mit Juden auf der Bühne zu identifizieren, entstehen können. Es untersucht die Faszination, die in der Frühen Neuzeit von der biblischen Figur Esther und ihrer Geschichte ausging. Gerade die in größerer Zahl vorliegenden christlichen Esther-Dramen aus dem deutschsprachigen Gebiet stehen in der neueren Forschung im Schatten der eher selten überlieferten jiddischen oder englischen Esther-Dramen der Frühen Neuzeit. Die ältere Forschung hat die deutschen Texte als spröde Exempeldichtungen diskreditiert. Das Projekt zeigt nun, wie die Spiele das Potenzial der biblischen Erzählung nutzen, um im öffentlichen Raum performativ zentrale religiöse, politische, soziale und zwischenmenschliche Probleme zu diskutieren, und wie sie an aktuelle politische Diskurse anknüpfen. Insbesondere geht es um die Frage nach der Möglichkeit eines Zusammenlebens unterschiedlicher religiöser Gruppen sowie nach der Verantwortung einer guten Regierung. Gefragt wird, wie es den Spielen gelingt, die interreligiöse Problematik des biblischen Buchs auf die jeweils aktuellen innerchristlichen konfessionellen Spannungen zu übertragen, und wie sie versuchen, persuasiv zu den Folgen der Reformation Stellung zu nehmen.
Im Fokus der Untersuchung stehen zunächst drei aus dem 16. Jahrhundert überlieferte deutschsprachige Esther-Dramen aus der Schweiz: zwei reformierte aus Zürich und Bern und ein katholisches aus Fribourg, die unterschiedliche Ausschnitte aus dem Buch Esther dramatisieren. Bei allen drei handelt es sich um Hochzeitsspiele; damit ist der Adressatenkreis z.T. rekonstruierbar. Das Projekt fragt nach den historischen, sozialen und konfessionellen Hintergründen der Spiele, nach ihren Verwendungen von Vorlagen und v.a. nach ihrer Nutzung des audiovisuelle Mediums Theater, um aus je anderer Perspektive die Notwendigkeit der Bewahrung der politischen Einheit der Eidgenossenschaft und die Verantwortung der (städtischen) Herrschaft öffentlich zu diskutieren. Von Interesse sind intertextuelle und außerliterarische Referenzen, Formen der symbolischen Kommunikation und Wertung, der Einsatz von Raum und Musik sowie Selbstreflexionen der dramatischen Literatur. Die Analyse der schweizerischen Dramen wird zunächst in einer Monographie vor die Vergleichsfolie älterer deutscher Esther-Dramen gestellt; durch begleitende Studien wird dieser Vergleich vertieft und u.a. auf lateinische Dramen ausgeweitet. Ein internationaler Workshop öffnet den Blick auf den deutsch-niederländisch-englischen Kulturraum.
Zwei handschriftlich überlieferte Spieltexte werden ediert. Dem Wissenstransfer dienen zwei Theateraufführungen und eine Ausstellung.
Kooperationspartnerinnen: Prof. Dr. Elisabeth Dutton (Fribourg), Prof. Dr. Chanita Goodblatt (Ben Gurion Univerersity of the Negev)
Projektmitarbeiterin: Karina R. Fischer