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Chiari Malformation und Syringomyelie beim Hund

Seit Ende der 90er Jahre ist in der Tiermedizin ein Krankheitskomplex beschrieben worden, der bis dahin nur aus der Humanmedizin bekannt war. Bei brachycephalen Hunden, und hier vor allem beim Cavalier King Charles Spaniel, wurde in zunehmendem Maße mit Hilfe der Kernspintomographie eine der Chiari Typ 1 Malformation (CM1) ähnliche Erkrankung festgestellt. Die Erkrankung wird beim Hund als angeborene Anomalie der hinteren Schädelregion (Okzipitalregion) beschrieben, die zu einer Überfüllung der hinteren Schädelgrube und einer Kompression des Kleinhirns und des Hirnstammes am Übergang vom Schädel zum ersten Halswirbel führt. Die Kompression soll zum einen durch den veränderten Schädelknochen und zum anderen durch eine Hypertrophie der Hirnhäute in diesem Bereich hervorgerufen werden und bedingt eine Störung des physiologischen Flusses der Hirnflüssigkeit (Liquor cerebrospinalis), der sich in den Hohlräumen des Gehirns und des Rückenmarks anstaut und so zu einem Hydrozephalus und zu einer so genannten Syringomyelie führt.

 

Welche Hunderassen sind von der Chiari-ähnlichen Malformation betroffen?

Kleine, brachycephale Toy-Rassen stehen im Vordergrund, an erster Stelle steht der Cavalier King Charles Spaniel. Er ist mit Abstand die am häufigsten betroffene Rasse. Seit neusten wird die Erkrankung vermehrt beim Affenpinscher und beim Griffon Bruxellois diagnostiziert.

 

Was genau ist eine Syringomyelie?

Der Begriff Syringomyelie beschreibt für zystische Hohlräume im Rückenmark. Das Wort stammt aus dem Griechischen und bezeichnet Hohlräume tubulärer Form. Die Bezeichnung Syringomyelie leitet sich von dem Begriff Syrinx ab und setzt sich aus diesem und dem Begriff Myelos (griechisch: Rückenmark) zusammen, also langgestreckter flüssigkeitsgefüllter Hohlraum im Rückenmark. Einige Wissenschaftler unterscheiden intramedulläre Zysten in Syringomyelie und Hydromyelie

Der Begriff Hydromyelie bezeichnet die Ansammlung von Flüssigkeit innerhalb eines

erweiterten Zentralkanales im Rückenmark. Syringomyelie beschreibt Hohlräume im Gewebe des Rückenmarks, die nicht mit dem Zentralkanal in Verbindung stehen.

Letztere stehen in der Regel in Zusammenhang mit einem vorangegangenen Rückenmarkstrauma (Trauma, Infarkt, Blutung, Myelitis). Oft liegen Übergangsformen zwischen der Syringo- und Hydromyelie vor, weshalb die wissenschaftliche Bezeichnung dieser Erkrankung eigentlich Syringohydromyelie lautet.  Es hat sich im normalen Sprechgebrauch aufgrund des einfacheren Begriffes aber die Syringomyelie, oder noch kürzer Syrinx durchgesetzt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Abb. 1: Verschiedene Rückenmarkspräprate im Querschnitte mit unterschiedlichen Ausprägungsgeraden einer Syringomyelie und einer Hydromyelie.

 

Was sind die Symptome einer Syringomyelie?

Klinisch manifestiert sich das kaudale okzipitale Malformationssyndrom meist im Alter zwischen 6 Monaten und 2 Jahren vor allem in anfallsartigen Kratzattacken im Hals- und Schulterbereich. Das Hauptsymptom der Syringomyelie sind Schmerzen, welche intermittierend und schwierig zu lokalisieren sein können. Meist ist diese Schmerzhaftigkeit der Halswirbelsäule zuzuordnen. Im Zuge der Anamnese berichten Besitzer von einer Verschlechterung nach einer längeren Liegephase, einer Beeinflussung durch Temperaturextreme, Aufregung oder Veränderungen der Körperhaltung der Tiere. Die Tiere können eine Berührungsempfindlichkeit im Bereich des Kopfes, Halses, der Schulter oder der Vorderbrust zeigen. Zusätzlich zeigen sie häufig ein einseitiges Kratzen dieser Regionen. Meist besteht dabei kein Hautkontakt (Phantomkratzen). Später zeigen die Tiere unspezifische Schmerzattacken, die keinem Auslöser zugeordnet sind (siehe Video).

Einige Tiere, speziell jüngeren Alters, entwickeln zusätzlich eine Wirbelsäulenverkrümmung (Skoliose). Die Ursache dieser Skoliose kann durch einen unilateralen Verlust propriozeptiver Informationen erklärt werden, welcher zu einer Abbiegung des Halses weg von der Läsion führt. Das Voranschreiten der Erkrankung ist variabel. Einige Hunde zeigen lediglich eine Tendenz zum Kratzen. Geringgradige Schmerzen und neurologische Defizite im Sinne einer Parese entwickeln sich nur langsam oder bleiben aus. Andere Tiere wiederum können einen schwereren Verlauf zeigen und entwickeln massive Defizite innerhalb von 6 Monaten nach dem Auftreten erster Symptome. Andere Patienten können trotz einer ausgeprägten Syringomyelie symptomlos sein. Bei zunehmender Ausdehnung der Syringomyelie kann es zu einer Lähmung aller vier Gliedmaßen kommen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Abb. 2: Das häufigste klinische Symptom der Syringomyelie ist ein unstillbarer Juckreiz.

 


 

Video 1: Schmerzattacken bei einer symptomatischen Syringomyelie


Wie häufig ist die Chiari Malformation und die Syringomyelie beim Cavalier King Charles Spaniel?

Der Erkrankungskomplex der Chiari-ähnlichen Malformation und der Syringomyelie ist in Großbritannien bei CKCS weit verbreitet. Kraniozervikale Missbildungen gemäß einer Chiari-ähnlichen Malformation werden bei dieser Rasse so häufig verzeichnet, dass die geschätzten Prävalenzangaben von 95% bis zu 100% reichen. Um die genaue Prävalenz der Syringomyelie beim CKCS bestimmen zu können, führen Parker und Mitarbeiter eine Studie mit 555 Cavalieren durch, die sowohl aus dem Vereinigten Königreich, als auch aus den Niederlanden stammen. Die Gesamtheit dieser Hunde wird von den jeweiligen Besitzern als klinisch asymptomatisch deklariert. Anhand dieser untersuchten Population von CKCS lässt sich eine asymptomatische Syringomyelie bei insgesamt 46% dieser Rassevertreter verzeichnen.

In der Bundesrepublik Deutschland gibt es derzeit weder einheitliche Zuchtvorgaben, um die Chiari-ähnliche Malformation und die Syringomyelie beim CKCS einzudämmen, noch wurde bislang die Prävalenz dieser Erkrankungen innerhalb der Population der CKCS in Deutschland untersucht. Um das genaue Ausmaß der Verbreitung der Chiari-ähnlichen Malformation und der Syringomyelie in der Rasse des CKCS innerhalb der Bundesrepublik Deutschland zu erforschen, wurde in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft zur Förderung Kynologischer Forschung und der Universität Gießen die Prävalenz der Syringomyelie beim asymptomatischen CKCS in Deutschland dokumentiert. Die Gesamtprävalenz positiv diagnostizierter CKCS mit einer Syringomyelie liegt in Deutschland bei alarmierenden 48,1%.

 

Wie diagnostiziert man die Chairi Malformation und eine Syringomyelie?

Die Veränderungen des Kleinhirnes und des Rückenmarkes lassen sich nur mit Hilfe der Magnetresonanztomographie (MRT) diagnostizieren. Hier kann man einen Vorfall von Kleinhirnanteilen (blauer Pfeil) in oder durch das Hinterhauptsloch (Foramen magnum, weißer Pfeil) in den oberen Spinalkanal erkennen, der zu einer Einengung des dortigen Subarachnoidalraums führt. Zudem fällt die Syringomyelie in Form eines hellen Signals innerhalb des gräulichen Rückenmarks auf (roter Pfeil).

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Abb. 3 Längsschnitt durch den Schädel und die Halswirbelsäule eines Cavalier King Charles Spaniels in der Kernspintomografie. Der blaue Pfeil zeigt das vorgewölbte Kleinhirn. Der rote Pfeil kennzeichnet die Syringomyelie.

 

Was kann man therapeutisch tun?

Die therapeutischen Maßnahmen bei einem Cavalier King Charles Spaniel mit Chiari-ähnlicher Malformation und Syringomyelie umfassen sowohl konservative als auch chirurgische Vorgehensweisen. Es gibt drei Hauptgruppen von Arzneistoffen, die zur Bekämpfung neuropathischer Schmerzen beim CKCS eingesetzt werden: Arzneistoffe, welche die Produktion von Liquor cerebrospinalis vermindern, Schmerzmittel  (Antikonvulsiva mit analgetischen Eigenschaften und Opioide) und Kortikosteroide. Zu der erstgenannten Gruppe von Arzneistoffen zählen das Azetazolamid und das Furosemid. Das Azetazolamid stellt einen Carboanhydrasehemmer dar und reduziert die Produktion des Liquor cerebrospinalis vermindert. Das Furosemid soll ähnliche Wirkungen erzielen. Nicht-steroidale Antiphlogistika, vorzugsweise spezifische Cyclooxygenase-2-Hemmer (Metacm, Rimaydl, etc.), können zwar in diesem Zusammenhang als therapeutische Maßnahme beim CKCS Anwendung finden, jedoch scheinen Gabapentinoide einen überlegeneren Effekt auf das Verbessern neuropathischer Schmerzen auszuüben. Zu den letztgenannten Arzneistoffen gehören das Gabapentin und das Pregabalin, welche Kalziumkanäle hemmen und somit eine verminderte Freisetzung von Schmerzbotenstoffen (Glutamat und Substanz P) aus bestimmten Neuronen des Rückenmarks bewirken. Da die Neuropeptide eine bedeutende Rolle in der Nozizeption und der Entstehung des neuropathischen Schmerzes spielen, sind diese Arzneimittel bei der Therapie der Chiari-ähnlichen Malformation und der Syringomyelie des CKCS von besonderem Interesse. Opioide kommen bei diesem Erkrankungskomplex des CKCS in der Regel nicht über einen längeren Zeitraum zum Einsatz, sondern werden hauptsächlich im Anschluss an einen chirurgischen Eingriff angewendet.  Kortikosteroide (Prednisolon) scheinen langzeitig eine Schmerzlinderung herbeizuführen, indem sie die Kaskade für die Produktion der Schmerzbotenstoffe unterbrechen und die Expression verschiedener Gene hemmen, die für Zytokine, Enzyme, Rezeptoren und die Adhäsion bestimmter Moleküle verantworltich sind. Des Weiteren kann gezeigt werden, dass Kortikosteroide die Expression der Substanz P vermindern.

 

Wie sieht ein operativer Eingriff bei einer Chiari-Malformation aus?

Die am weitesten verbreitete Operationsmethode bildet die kraniozervikale Dekompression, die in Form einer Erweiterung des Hinterhauptsloches durchgeführt wird. In diesem Kontext ist jedoch zu erwähnen, dass manche CKCS als postoperative Komplikation übermäßig viel Narbengewebe an der Eingriffsstelle entwickeln, wodurch folglich eine erneute Kompression des Kopf-Hals-Übergangs, begleitet von einer erneuten Verschlechterung der klinisch-neurologischen Symptome, entsteht. Um diese Folgeerscheinung der Operation zu verhindern wird die subokzipitale Kraniektomie mit einer restaurativen Kranioplastik kombiniert. Die klinischen Merkmale eines CKCS verbessern sich demnach, sobald ein ungehinderter Fluss des Liquor cerebrospinalis am kraniozervikalen Übergang gewährleistet ist.

Eine im Jahr 2007 veröffentlichte Langzeitstudie offenbart, dass zwar 80% der CKCS direkt postoperativ eine Verbesserung ihrer klinischen Symptomatik aufweisen, hingegen erfahren 25-47% der operierten Hunde eine Wiederkehr oder eine Verschlechterung der klinischen Merkmale in einem Zeitraum von zwei Monaten und drei Jahren nach erfolgter chirurgischer Intervention. Dennoch kann herausgestellt werden, dass die Chirurgie als therapeutische Maßnahme bei CKCS mit äußerst schwerwiegenden klinischen Symptomen zu einer Verbesserung der Lebensqualität betroffener Hunde führt.

Die chirurgische Verfahrensweise wird nicht universell als Therapiemethode eingesetzt, sondern lediglich empfohlen für Schmerz erleidende Hunde mit Chiari-ähnlicher Malformation aber ohne deutlich ausgebildete Syringomyelie und/oder für Hunde mit Chiari-ähnlicher Malformation und Syringomyelie, bei denen das konservative Management keine ausreichende Befreiung von Schmerzen geliefert hat. Die Ursache dafür besteht darin, dass die kraniozervikale Dekompression, anders als bei humanen Patienten, weder eine Entfernung noch eine Verkleinerung der Syringomyelie zur Folge hat.