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Viele Pünktchen im Auge

Dritte Vorlesung in Justus' Kinderuni mit Prof. Dr. Gudrun Schwarzer "Wie Babys die Welt sehen"

Die Verlockungen des Schwimmbads waren diesmal besonders groß. Doch Dominik, Florian, Philipp und mit ihnen fast 500 weitere Kinder widerstanden tapfer. Auch bei Temperaturen über 30 Grad Celsius mochten sie den dritten Termin von Justus' Kinderuni keinesfalls verschwitzen. Kein Wunder, dass es in der erneut voll besetzten Aula am 28. Juni -- im doppelten Sinne des Wortes -- heiß herging. Entwicklungspsychologin Prof. Dr. Gudrun Schwarzer führte dem studentischen Nachwuchs eindrucksvoll vor Augen "Wie Babys die Welt sehen". Von ihrer riesigen Zuhörerschar bestmöglich verstanden zu werden, gestaltete sich für die Wissenschaftlerin übrigens als eine echte Herausforderung, denn der Altersunterschied war gewaltig. Die jüngste Teilnehmerin war noch kein halbes Jahr alt und strahlte auf der Krabbeldecke, Grundschüler saßen neben Förderstufenschülern, und die älteste Großmutter, die am Rande lauschte, dürfte das sechste Lebensjahrzehnt bereits länger vollendet haben.

"Die Psychologen wollen herausfinden, was Menschen denken, fühlen und tun. Und die Entwicklungspsychologen befassen sich mit Veränderungen im Denken, Fühlen und Tun, wenn der Mensch älter wird." Mit einfachen Worten erklärte Prof. Schwarzer ihr komplexes Forschungsgebiet. Als auf die Frage, wer eine kleine Schwester oder einen Bruder habe, ungezählte Hände in die Höhe schossen, hatte sie die eigentlichen Experten im Saale rasch ausgemacht. "Ihr dürft ruhig sagen, wenn etwas anders ist als ich es sage", ermutigte sie alle großen Geschwister. Und als ein Steppke ihr ganz am Ende der Vorlesung mit neunmalklugen Worten "Sie haben da Humbug erzählt" weismachen wollte, dass am Anfang aller Malkunst nicht, wie zuvor erklärt, der "Kopffüßler" stehe, -- er selbst habe nämlich garantiert keinen gemalt -- verlor die Expertin nicht die Fassung: "Dann hast du eben eine Entwicklungsphase übersprungen."

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ganz aufmerksam

Doch zurück zur Frage, wie Babys die Welt sehen. "Ich wusste gar nicht, dass ich so viele Pünktchen im Auge habe", raunte Carolin erstaunt ihrer Nachbarin zu. Gerade hatte Prof. Schwarzer erklärt, dass Babys anfangs nur 18 Sehzellen haben. Bei etwas älteren Kindern seien es immerhin 317. Voll ausgereift ist das Auge erst bei einem etwa zweijährigen Kind. Kein Wunder also, dass Babys die Welt nur unscharf sehen. Wie unscharf, das konnten die Kinder mit Hilfe einer einfachen Klarsichtfolie nachempfinden: Zweimal geknickt und durchgeschaut -- schon war die Professorin vorn nur noch verschwommen zu sehen.

Farben dagegen könnten Babys schon bald erkennen, erläuterte Schwarzer. Weil Babys aber bekanntlich noch nicht sprechen können, müssten sich die Forscher recht aufwändige Versuche einfallen lassen, um dies nachzuweisen -- was in Gießen gelungen ist. "In den ersten zwei Lebensmonaten wird die Welt der Babys immer bunter", lautet das Ergebnis. Davon, dass die wohl meinende Oma oder Mama dem Baby rosa oder hellblaue Strampelanzüge kaufen wollen, sollten die älteren Geschwister diesen allerdings am besten abraten, riet die Expertin. Denn: "Babys gucken lieber klare Farben (Grundfarben) als Mischfarben an".

Mögen Babys Motorräder, Flugzeuge, Fahrräder sehen? "Nein!!!" tönte es einhellig aus der Menge. Mögen Babys Gesichter? "Ja!!!" Von verschiedenen Experimenten mit Babys, denen bestimmte Gesichter gezeigt werden, wusste die Entwicklungspsychologin zu berichten. Babys, so die Forschungsergebnisse, sehen im Allgemeinen lieber Frauen- als Männergesichter. Aber auch hier keine Regel ohne Ausnahme: Babys, die viel mit Männern zu tun haben, zum Beispiel vom Vater aufgezogen werden, schauen am liebsten Männer an.

[voll gefüllte Aula; Klicken zum Vergrößern]

voll gefüllte Aula

Keine Ausführung, die von den Kindern nicht sofort kommentiert worden wäre. Mit dem Wiedererkennen von Menschen- und Tiergesichtern, die nur ganz kurz eingeblendet worden waren und dann aus mehreren Bildern herausgesucht werden sollten, hatten die Nachwuchsstudierenden ganz offensichtlich besonderen Spaß. "Ihr seid perfekte Erkenner von Gesichtern", lobte die Professorin, obwohl das Testergebnis bei den Menschengesichtern eindeutig viel besser ausgefallen war als bei den Tiergesichtern.

Und was heißt das für die Entwicklung von Babys? "Je älter Babys werden, desto mehr lernen sie die kleinen Unterschiede in Gesichtern zu erkennen. Aber das Unterscheiden von Gesichtern, die man nur selten sieht, wird später schlechter." Besser als ältere Kinder oder sogar Erwachsene könnten Babys Tiergesichter unterscheiden, erklärte Schwarzer. Insofern seien Säuglinge mit ihren Wahrnehmungsfähigkeiten in manchen Bereichen älteren Kindern und sogar Erwachsenen überlegen.

Ob das vergnügte Baby mitten in der Aula von alledem etwas mitbekommen hat, ist nicht erwiesen. Die acht bis zwölfjährigen Mädchen und Jungen haben jedoch umso mehr über ihre kleinen Geschwister und andere Babys gelernt.

Das Justus' Kinderuni auch in heißen Zeiten "cool" ist, wissen die Kids inzwischen aus eigener Erfahrung. Auf das Versprechen von Kim, Sina, Leon und Tim, auch beim nächsten und letzten Mal in diesem Semester wieder dabei zu sein, dürfen die Organisatoren bauen. Prof. Dr. Tina Trenczek will dann der Frage nachgehen "Warum Angst vor Krabbeltieren?" Die Motivation für die Studierenden ist eine doppelte: Erstens ist das nächste Thema bestimmt genauso spannend wie die anderen Themen, und zweitens winkt ganz am Ende ein Zertifikat. Um das begehrte Papier zu kriegen, darf man an der Uni nicht einmal gefehlt haben!

Charlotte Brückner-Ihl