Farbwahrnehmung
Inhalt
Sensorische Verarbeitung von Farbe
Farbkonstanz
Individuelle Unterschiede & #theDress
Farbkategorisierung
Gedächtnisfarbeneffekt
Übrigens: Ergänzende Informationen zum Farblabor und zu Methoden der Farbwahrnehmungsforschung finden Sie hier. Zu den Lösungen des Zeit-Quiz "Beat the Prof" geht es hier.
Sensorische Verarbeitung von Farbe
Licht wird von Objektoberflächen zum Teil absorbiert und zum anderen Teil reflektiert (Vgl. Abb. 1.a). Je nach Absorptionseigenschaften der Objektoberflächen hat das Licht unterschiedliche physikalische Eigenschaften, genauer: Unterschiedliche Spektren. Das Licht fällt auf die Netzhaut (Retina) im Auge und erregt dort die Photorezeptoren, die sog. Zapfen. Es gibt drei Arten von Zapfen, die unterschiedlich empfindlich für verschiedene Wellenlägenbereiche des Lichtspektrums sind (Abb. 1.b). Die Erregung eines Rezeptortyps alleine variiert nur in ihrer Intensität und kann daher alleine keine Information über die spektrale Zusammensetzung des Lichtes bieten (Abb. 1.c-e). Erst durch den Vergleich der drei Rezeptortypen erhält man Information über die Spektralbereiche und damit Farbinformation. Ein solcher Vergleich zwischen den Zapfentypen finden durch die retinalen Ganglienzellen in der Netzhaut statt (Abb. 1.f). Die Kontraste der drei Zapfentypen bilden die grundlegenden drei Dimensionen der Farbwahrnehmung, eine farblose Helligkeitsdimension (Abb. 1.g) und zwei chromatische Dimensionen (Abb. 1.h-i).
Abbildung 1. Sensorische Ebenen der Farbverarbeitung. Entnommen aus Abb. 1 in Gegenfurtner (Nature Reviews Neuroscience, 2003).
Eistiegsliteratur
Interview "Wir sehen auch graue Schlümpfe blau", by Till Hein, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 21. Jan. 2018.
Übersichtsliteratur
Gegenfurtner, K. R. (2003). Cortical Mechanisms of Colour Vision. Nature Reviews Neuroscience, 4, 563-572.
Gegenfurtner, K. R., & Kiper, D. C. (2003). Color Vision. Annual Review of Neuroscience, 26(1), 181-206.
Weiterführende Literatur
Hansen, T., & Gegenfurtner, K. R. (2017). Color contributes to object-contour perception in natural scenes. Journal of Vision, 17(3), 14-14. doi:10.1167/17.3.14
Hansen, T., & Gegenfurtner, K. R. (2013). Higher order color mechanisms: evidence from noise-masking experiments in cone contrast space. Journal of Vision, 13(1). doi:10.1167/13.1.26
Farbkonstanz
Die Zapfenerregung allein sagt aber nicht alles über die Farbwahrnehmung aus, insbesondere da sich die Zapfenerregung nur durch das auf die Netzhaut fallende Licht bestimmt wird. Wir nehmen Farben aber vornehmlich als Eigenschaften von Gegenständen und Materialien in unserer Umwelt wahr. Ein wichtiger Teil der Farbwahrnehmung besteht daher aus der Farbkonstanz, d.h. der Fähigkeit, die Farben von Objekten trotz Änderungen der Lichtverhältnisse als unveränderlich (konstant) wahrzunehmen. In den beiden Bildern (a und b) in Abbildung 2 ist das sensorische Farbsignal (d.h. die Zapfenerregung) für die Trauben unter der roten Beleuchtung das gleiche wie für die Orange unter der grünen Beleuchtung. Dennoch nehmen wir die Trauben in beiden Fotos als grün war und die Orange als orangefarben.
Abbildung 2. Farbkonstanz. Entnommen aus Abb.2 in Witzel & Gegenfurtner (Annual Reviews of Vision Science, 2018).
Unter besonderen Bedingungen kann die Farbkonstanz aber auch zusammenbrechen. Dies geschieht unter künstlicher Beleuchtung und mit Objekten, deren Oberflächen bestimmte (meist unnatürliche) Spektren haben (Abb. 3).
Abbildung 3. Zusammenbruch der Farbkonstanz. Die vier Photos zeigen Kleidungsstücke unter verschiedenen LED-Beleuchtungen. Die Farben, insbesondere der Socken und des bläulichen T-Shirts rechts, sehen sehr unterschiedlich unter den vier Beleuchtungen aus. Im Fernseh-Feature „Die Welt ist bunt“ (ARD, 2018) liefern wir weitere Erklärungen und Beispiele.
Einstiegsinformationen
Fernseh-Feature "Die Welt ist bunt - aber ist mein Blau auch dein Blau?", W wie Wissen, ARD, 18. August 2018, 16.00h.
Übersichtsliteratur
Witzel, C., & Gegenfurtner, K. R. (2018). Color Perception: Objects, Constancy, and Categories. Annual Review of Vision Science, 4(1), null. doi:10.1146/annurev-vision-091517-034231
Weiterführende Literatur
Hansen, T., Walter, S., & Gegenfurtner, K. R. (2007). Effects of spatial and temporal context on color categories and color constancy. Journal of Vision, 7(4), 1-15.
Weiss, D., Witzel, C., & Gegenfurtner, K. (2017). Determinants of Colour Constancy and the Blue Bias. i-Perception, 8(6), 2041669517739635. doi:10.1177/2041669517739635
Individuelle Unterschiede & #theDress
Die physiologischen Grundlagen der Farbwahrnehmung unterscheiden sich zwischen Betrachtern. Dazu gehören Unterschiede in der Bräunung der Hornhaut (Cornea) und der Menge an Makulapigment, die beide kurzwelliges Licht im Auge herausfiltern. Weiterhin gibt es auch Unterschiede in der Empfindlichkeit der Zapfen. Bekannt ist das natürlich im Falle von Farbfehlsichtigkeit und Farbenblindheit; aber auch bei Normalsichtigen gibt es kleine Unterschiede in der Zapfenempfindlichkeit. Die relative Anzahl der Verschiedenen Zapfentypen in der Netzhaut unterscheidet sich erstaunlich stark zwischen verschiedenen Betrachtern. Man geht z.B. von bis zu 32-fachen Unterschieden im Verhältnis der lang- und mittelwellenempfindlichen Zapfen (L- und M-Zapfen, s. Abb.1.b) aus (!). Allerdings fand man auch heraus, dass sich diese physiologischen (optischen und sensorischen) Unterschiede nicht immer direkt auf die wahrgenommenen Farben auswirken. Die Farbwahrnehmung eines jeden Betrachters richtet sich jenseits der sensorischen Verarbeitung neu aus (Rekalibrierung) und gleicht sich über die Betrachter hinweg an (Normalisierung).
Dass es aber dennoch zu eindrucksvollen individuellen Unterschieden kommen kann, hat #theDress gezeigt, ein Foto eines Kleides, dessen Farben völlig unterschiedlich von verschiedenen Betrachtern gesehen werden: Manche sehen es blau und schwarz, andere weiß und gold (Abb. 4.A). Die meisten Untersuchungen dieses Phänomens (so auch unsere eigenen) stimmen darin überein, dass die individuellen Unterschiede durch verschiedene Interpretationen der Szene und der Beleuchtung des Kleides zustande kommen. Bettet man das ausgeschnittene Kleid in eine Szene mit eindeutigen Beleuchtungsverhältnissen, so reduzieren sich die individuellen Unterschiede stark. Ist das Kleid eindeutig im Schatten, wird es weiß-gold gesehen (Abb.4.B), ist es in der direkten Sonne, wird es schwarz-blau gesehen (Abb.4.A).
Abbildungen 4. Individuelle Unterschiede in der Wahrnehmung von #theDress. (A) zeigt das Originalphoto. Die Bilder (B) und (C) wurden Abb. 2 und 10 in Witzel et al. (Journal of Vision, 2017) entnommen.
Einstiegsliteratur
Witzel, C. (2011). Unterschiede in der Farbwahrnehmung. In A. Groh (Ed.), Was ist Farbe? - Bunte Beiträge aus der Wissenschaft (pp. 39-62). Berlin: Weidler.
Witzel, C. (2015). The Dress: Why do different observers see extremely different colours in the same photo? Retrieved from http://lpp.psycho.univ-paris5.fr/feel/?page_id=929
Weiterführende Literatur
Gegenfurtner, K. R., Bloj, M., & Toscani, M. (2015). The many colours of 'the dress'. Current Biology, 25(13), R543-544. doi:10.1016/j.cub.2015.04.043
Toscani, M., Gegenfurtner, K. R., & Doerschner, K. (2017). Differences in illumination estimation in #thedress. Journal of Vision, 17(1), 22-22. doi:10.1167/17.1.22
Witzel, C., O'Regan, J. K., & Hansmann-Roth, S. (2017). The dress and individual differences in the perception of surface properties. Vision Research, 141(Supplement C), 76-94. doi:https://doi.org/10.1016/j.visres.2017.07.015
Witzel, C., Racey, C., & O'Regan, J. K. (2017). The most reasonable explanation of “the dress”: Implicit assumptions about illumination. Journal of Vision, 17(2), 1-1. doi:10.1167/17.2.
Farbkategorisierung
Wenn wir über Farben sprechen, verwenden wir Farbwörter, wie z.B. „rot“, „lila“, „braun“ usw. Diese Farbwörter verweisen auf Farbkategorien. Eine Farbkategorie enthält Farben, die alle unter den gleichen Begriff fallen (Abbildung 5). Zum Beispiel enthält die Farbkategorie Grün eine ganze Menge an unterschiedlichen Grüntönen, die alle als durch das Farbwort „grün“ beschrieben werden können. Die Farbkategorien sind allerdings unterschiedlich groß und an ihren Übergängen unscharf (Abbildung 5). Letzteres bedeutet, dass es vorkommen kann, dass zwei Betrachter eine Farbe nahe der Grenze, zum Beispiel von Grün und Blau, unterschiedlich benennen, zum Beispiel als „grün“ der eine, und als „blau“ der andere. Dadurch sind Farbkategorien nicht gleich informativ für alle sichtbaren Farben. Farbkategorien können auch beeinflussen wie schnell und genau man Farbunterschiede sehen kann.
Abbildung 5. Farbkategorien. Die farbigen Flächen markieren die Farbkategorien; jedes kleine Rechteck innerhalb der Kategorien entspricht einer anderen Farbe. Entnommen aus Abb.4 in Witzel & Gegenfurtner (Annual Reviews of Vision Science, 2018)
Übersichtsliteratur
Witzel, C., & Gegenfurtner, K. R. (2018). Color Perception: Objects, Constancy, and Categories. Annual Review of Vision Science, 4(1), null. doi:10.1146/annurev-vision-091517-034231
Witzel, C. (2018). Misconceptions About Colour Categories. Review of Philosophy and Psychology, 1-42. doi:10.1007/s13164-018-0404-5
Witzel, C., & Gegenfurtner, K. R. (2014). Category effects on colour discrimination. In W. Anderson, C. P. Biggam, C. A. Hough, & C. J. Kay (Eds.), Colour Studies: A broad spectrum (pp. 200–211). Amsterdam: John Benjamin Publishing Company.
Weiterführende Literatur
Olkkonen, M., Witzel, C., Hansen, T., & Gegenfurtner, K. R. (2010). Categorical color constancy for real surfaces. Journal of Vision, 10(9), 1-22. doi:10.9.16 [pii] 10.1167/10.9.16
Witzel, C., & Gegenfurtner, K. R. (2013). Categorical sensitivity to color differences. Journal of Vision, 13(7). doi:10.1167/13.7.1
Witzel, C., & Gegenfurtner, K. R. (2015). Categorical facilitation with equally discriminable colors. Journal of Vision, 15(8), 22. doi:10.1167/15.8.22
Witzel, C., & Gegenfurtner, K. R. (2016). Categorical perception for red and brown. Journal of Experimental Psychology: Human Perception & Performance, 42(4), 540-570. doi:10.1037/xhp0000154
Witzel, C., & Gegenfurtner, K. R. (2018). Are red, yellow, green, and blue perceptual categories? Vision Research, in press. doi:https://doi.org/10.1016/j.visres.2018.04.002r
Gedächtnisfarbeffekt
Die Gedächtnisfarbe ist die typische Farbe, die man aufgrund seiner Erfahrung mit einem Objekt verbindet. Zum Beispiel ist die Gedächtnisfarbe einer Banane Gelb. Der Gedächtnisfarbeffekt zeigt, wie das Wissen um die typische Farbe beeinflusst, wie man die tatsächliche Farbe eines Objektes sieht. So sieht man zum Beispiel eine farblose, graue Banane gelblich (A in Abb. 6). Blau ist die Gegenfarbe von Gelb und wirkt der Wahrnehmung von Gelb entgegen. Färbt man die Banane bläulich (B in Abb. 6), so sieht diese blaugefärbte Banane für die meisten Betrachter grauer und farbloser aus als die Banane auf der linken Seite (A), die tatsächlich so farblos wie der Hintergrund ist.
Abbildung 5. Farbgedächtniseffekt am Beispiel der Banane. Die Darstellung stammt aus Abbildung 2 in Witzel (i-perception, 2016).
Einstiegsliteratur
Witzel, C., & Gegenfurtner, K. R. (2014). Memory Colour. In R. Luo (Ed.), Encyclopedia of Color Science and Technology: SpringerReference. Heidelberg: Springer-Verlag.
Übersichtsliteratur
Witzel, C., & Hansen, T. (2015). Memory effects on color perception. In A. J. Elliot, A. Franklin, & M. D. Fairchild (Eds.), Handbook of Color Psychology (pp. 639-640). Cambridge: Cambridge University Press.
Weiterführende Literatur
Hansen, T., Olkkonen, M., Walter, S., & Gegenfurtner, K. R. (2006). Memory modulates color appearance. Nature Neuroscience, 9(11), 1367-1368. doi:nn1794 [pii], 10.1038/nn1794
Olkkonen, M., Hansen, T., & Gegenfurtner, K. R. (2008). Color appearance of familiar objects: Effects of object shape, texture, and illumination changes. Journal of Vision, 8(5), 1-16.
Witzel, C., Olkkonen, M., & Gegenfurtner, K. R. (2018). A Bayesian Model of the Memory Colour Effect. i-Perception, 9(3), 2041669518771715. doi:10.1177/2041669518771715
Witzel, C., Olkkonen, M., & Gegenfurtner, K. R. (2016). Memory colours affect colour appearance. Behavioral and Brain Sciences, 39, 51-52. doi:10.1017/S0140525X15002587
Witzel, C., Valkova, H., Hansen, T., & Gegenfurtner, K. R. (2011). Object knowledge modulates colour appearance. i-Perception, 2(1), 13-49. doi:10.1068/i0396
Witzel, C. (2016). An Easy Way to Show Memory Color Effects. i-Perception, 7(5), 1-11. doi:10.1177/2041669516663751