Projekt ENACT DEM
Die Zahl der Menschen, die mit einer Demenz leben, steigt. Die Sorge um diese Gruppe von Menschen wird darum zu einer zentralen sozialen Frage. Ihre »Versorgung« erhält im Kontext des Pflegenotstands den Charakter einer bedrohlichen Krise. Die Gefahr ist, dass die betroffenen Menschen nur noch als problematische Objekte einer lückenhaften Versorgung wahrgenommen
werden.
Das hier vorgestellte Forschungsprojekt ENAct-Dem nimmt bestehende und bislang weitgehend übersehene Beteiligungsmöglichkeiten gemeinsam mit Menschen mit Demenz in den Blick. Sie sollen als am Gemeinwesen partizipierende Bürgerinnen und Bürger sichtbar werden. Dies kann nur gelingen, wenn die Forschung selbst partizipativ vorgeht. Das Vorhaben ist im schönsten Sinne des Wortes abenteuerlich: Menschen mit Demenz lehren, initiieren, erforschen und gestalten mit.
Das Projekt hat nur Aussicht auf Erfolg, weil es in einen internationalen Forschungsverbund eingebettet ist. Das am Institut für Soziologie der Universität Gießen angesiedelte Projekt wird im Verbund mit den Universitäten Stirling (Schottland), Salford (England) sowie der University of British Columbia und der Lakehead University (beide Kanada) durchgeführt.
Die nationalen Teilprojekte werden jeweils von den großen Forschungsförderinstitutionen ihres Landes unterstützt. Das Gießener Projekt wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Die Laufzeit beträgt drei Jahre: April 2023 bis März 2026.
Im Projekt sind Dr.in Gabriele Kreutzner, Dr. Jonas Metzger, Dr. Oliver Schultz und Prof. Dr. Reimer
Gronemeyer (Leitung) tätig.
Schätzungen zufolge beläuft sich die Zahl von Menschen mit einer Demenz derzeit auf weltweit 50 Millionen Menschen. Bis 2030 soll diese Zahl auf 82 Millionen und bis 2050 auf 152 Millionen steigen. Etwa zwei Drittel dieser Menschen leben in kommunalen, nicht-institutionellen Zusammenhängen – Tendenz steigend, da Pflege und Betreuung in vielen Teilen der Welt auf die
Kommune ausgerichtet sind.
Dennoch sind Menschen mit Demenz in ihren Kommunen in vielerlei Hinsicht von Teilhabe ausgeschlossen. Bei der politischen Gestaltung und Planung sowie der Konzeption und Bereitstellung von Dienstleistungen werden sie vielfach übersehen.
Die Corona-Pandemie hat diese Ausgrenzung und Benachteiligung von Menschen mit Demenz beim Zugang zu Gesundheits- und Sozialfürsorgediensten zutage treten lassen und verschärft. Eine internationale Agenda für »Demenzfreundliche Kommunen und Initiativen« (DFCIs) will solche Ungleichheiten aufzeigen und die Partizipation von Menschen mit Demenz in ihren Kommunen stärken.
ENAct-Dem will erkunden und erproben, wie die Ausgrenzung von Menschen mit Demenz in ihrer Kommune überwunden werden kann. Wir wollen Menschen mit Demenz dabei unterstützen, in ihren Kommunen mitzureden und mitzuwirken.
Vielfältige lokal verortete Erfahrungen zum Leben mit Demenz sollen untersucht werden. Welche Wünsche und welche Befürchtungen bewegen Menschen mit Demenz? Welche Ansatzpunkte bieten sich vor Ort für Teilhabemöglichkeiten?
Menschen mit Demenz haben während der COVID-Pandemie vielerorts unter einer Politik des Schutzes durch Isolation gelitten. Nun gilt es die Nutzung und Gestaltung konvivialer Räume zu überdenken. Wie können Menschen mit Demenz gleichberechtigte Akteur:innen lokaler Politiken sein? Wie können sie wirkungsvoll in Planungen und Neuerungen auf kommunaler Ebene einbezogen werden? Wie können Verbindungen zwischen Netzwerken von Menschen mit Demenz auf lokaler und globaler Ebene geknüpft werden?
Unser Vorgehen orientiert sich am Ansatz einer partizipativen handlungsorientierten Forschung (Participative Action Research). Wir wollen unseren Forschungsprozess gemeinsam mit Menschen mit Demenz und ihren Sorgepartner:innen in den Kommunen durchführen. Ideen und Projekte für die kommunale Mitgestaltung sollen in einem partnerschaftlichen Prozess bedacht, besprochen und erarbeitet werden. Wir verstehen Menschen mit und ohne Demenz, die sich mit uns engagieren wollen, als unsere Co-Forscher:innen. Ihre Erfahrungen, Befürchtungen, Hoffnungen und Wünsche sind ein ganz wesentlicher Bestandteil dieses Forschungsprozesses.
Gemeinsam wollen wir gute Gründe und Ideen für die dringend erforderliche Umgestaltung lokaler Dienste und Unterstützungsleistungen hervorbringen. Wir wollen neue kreative Ideen entwickeln, damit Menschen mit Demenz künftig eine partizipative Rolle in ihrer Kommune spielen.
- Prof. Dr. Reimer Gronemeyer hat als Vorsitzender der Aktion Demenz e.V. die Entstehung der demenzfreundlichen Kommunen in Deutschland mit auf den Weg gebracht und über lange Jahre engagiert begleitet.
- Dr. Gabriele Kreutzner engagiert sich vor allem für den Dialog von Theorie und Praxis im Bereich Demenz. Siehat ein Wanderprogramm für Menschen mit und ohne Demenz mitkonzipiert und ist mit dieser Gruppe regelmäßig im Schwabenland unterwegs.
- Dr. Jonas Metzger forschte intensiv zu kleinbäuerlichem Leben in Ostafrika und im südlichen Afrika. Gegenwärtig befasst er sich insbesondere mit alternden Gesellschaften.
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Dr. Oliver Schultz
leitet seit vielen Jahren künstlerische Gruppen für Menschen mit Demenz in Pflegeheimen. Er hat u.a. zum Pflegenotstand und zu den Folgen der
Corona-Pandemie für die Pflege geforscht.
Gemeinsam haben wir Forschungsprojekte in den Bereichen Demenz, Alter, Ehrenamt und Sozialraum durchgeführt.